erscheint in Gegenwind, Januar 2022: Überall lese ich Analysen, warum die Linke in Deutschland immer seltener gewählt wird. Der Abstraktionsgrad ist unterschiedlich, aber überall hoch. Manchmal wird die Globalgesellschaft, manchmal die europäische, manchmal nur die deutsche Gesellschaft oder auch nur eine einzelne Person analysiert. Es klingt immer so, als müssten linke Menschen nur die richtigen Meinungssätze oder Analysen vorlegen. Genügt das wirklich, um in die Parlamente gewählt zu werden. Brauchen wir die Parlamente überhaupt für eine soziale Gesellschaft der Freiheit und sozialen Gleichheit?
Parlamente schützen bestehende Verhältnisse … ,
Mit Wahlen kann die Menschheit keine Verhältnisse verändern: gegen das herrschende Bewusstsein, gegen bestehendes Militär, gegen die Klasse der Reichen. Einmal ganz abgesehen davon, dass die Reichen nur noch selten höchstpersönlich über Hochöfen, SUV-Produktion oder Goldminen verfügen. Sie halten Anteile, meistens haben die AnteilseignerInnen Anteile an mehreren Konkurrentinnen auf den Aktienmärkten. Sie haben den Kapitalismus schon längst geblackrockt. In der Politik herrschen die Lobby- und Finanz-Technokraten. Und in manchen Branchen gehorchen die Konzerne der sozialdemokratischen Atomlobby und anderen Kumpanen der IG Metall. Und: es ist auch gar nicht die Aufgabe der Parlamente, die Gesellschaft zu verändern. Die Parlamente sollen die Exekutive kontrollieren, damit die Egomännen nicht zu Diktator:Innen mutieren. Und sie sollen all die Technokratien am Laufen halten, Mindestlöhne auf die Einheimischen beschränken und Kleinanlegerschutzgesetze anschieben. Letzteres war eine Idee der Linken.
… Kommunisten verändern sie.
E s gibt eine Reihe Vorbilder, die durchaus Effekte auf gesellschaftliche Veränderung haben: Die kommunistische Partei in Graz hat kürzlich vorgeführt, wie Kommunisten Wahlen gewinnen können. Sie nehmen sich als Opposition das Thema Armut vor und lindern sie vor Ort, ganz ohne jede Regierungsgewalt. Sie sind konsequent und beharrlich. Dieses Beispiel funktioniert. Solche KommunistInnen werden auch von bürgerlichen Menschen gewählt. Welche kommunistische Sektion in Deutschland macht es nach? Es dürfte sehr leicht sein. In den meisten deutschen Kommunen spielen die Bundesparteien Koalitionskriege gegeneinander. Was angesichts kommunaler Armut geradezu lächerliche Formen annimmt. Helfen könnte nur eine konzertierte Aktion der gesamten Kommune gegen den Mainstream, Kommunen systematisch zu verarmen. Welche solidarischen Finanzierungsformen können wir einführen, um kommunal gegen den weltweiten neoliberalen Trend anzugehen?
Linke Gewerkschaften versagen, …
Die Arbeiterbewegung war einmal viel mächtiger als Klimaschutzjugend oder Antiatombewegung. Die sozialistischen Parteien waren die Arme in die Politik hinein, waren aber nur eine Säule der Bewegung. Gewerkschaften und linke Politik waren Mitte des 20. Jahrhunderts durchaus einmal erfolgreich. Besonders die Montanmitbestimmung machte aber die Führer der hierarchischen Gewerkschaften korrupt. Die Steinkühlerei machte die Gewerkschaften zahnlos. Nach diesen Schocks gibt es nur noch wenige Gewerkschaften, die Gestaltungsspielräume nutzen können. Deren Ankermänner sind aber keine Sozialisten mehr. Und: sie lassen alle keine Frauen ran.
… CDU und Grüne bewegen sie.
In ver.di holten sich Ex-IG-Medien-Leute Rat aus den USA, wie gewerkschaftlich besser organisiert wird. Heute stellt ver.di sogar in der Security-Branche Streiks auf die Beine. Der große ver.di-Boss, unter dem dies begann, war der Grüne Frank Bsirske. Ein anderes Beispiel ist die neue Eisenbahnergewerkschaft GDL, die den heiligen Gral der Einheitsgewerkschaft durch eine Einheizgewerkschaft ersetzt. Der große Boss, der das arrangiert, ist CDU-Mitglied Claus Weselsky. Wo ist die deutsche Linke? Ach, ich vergaß, die FAU ist in der Lastenradbranche erfolgreich.
Genossenschaften ändern die Verhältnisse nachhaltig
In Spanien, aber auch in Süd- und Mittelamerika waren und sind genossenschaftliche Bewegungen erfolgreich. Selbst im faschistischen Regime in Spanien blühte der genossenschaftliche Widerstand zu einem Industrie-Konzern auf, an dem nicht einmal Francos Mörderbanden vorbei kamen. Welche Linke nimmt sich heute ein Beispiel daran? Wer organisiert das? Das lässt sich nicht predigen, das muss mensch einfach machen. Wie wär’s nach dem Vorbild der Sozialgenossenschaften in Italien? Oder nach dem Vorbild der neuen deutschen Nachbarschaftsgenossenschaften. Lest mal in der aktuellen ‚contraste‘ nach.
Das alles sind Ansatzpunkte, die in vielen anderen kapitalistischen Ländern aufzeigen: Wir können auch anders. Genau das brauchen Menschen, die dann auch die sozialistischen Parteien wählen solllen: Erleben, dass es funktioniert und wie es funktioniert. Sonst werden alle schönen Progamme und Analysen mit einem Satz gekillt: „Was Ihr da wollt, funktioniert doch alles nicht.“ Allerdings müsst Ihr aufpassen: Kleinanlegerschutzgesetze schaden den real existierenden, emanzipativen Bewegungen.
Ein Gedanke zu „Stell Dir vor: Die Linke will aufstehen und keiner geht hin.“