Archiv der Kategorie: Allgemein

Sehr geehrte Frau Bundeswehr!

Wir haben alle die Debatte mitbekommen, dass Frau Pechstein in Uniform der Bundespolizei auf einem Parteitag eine populistische Rede hielt. Das gilt in einer Demokratie als unfein, weil wir die Gewaltenteilung als eine Basis unserer Demokratie betrachten.

Marschbahnpropagandist

Auf der Marschbahn erlebte ich nun, wie zwei ältere plappernde Damen einen als Soldaten der Bundeswehr vermuteten Mann in amtlich dekorierter Tarnkleidung ansprachen. Der Mann war sehr redselig und schaute sich stets nach allen Seiten um, ob auch alle seiner Kasernenhofstimme Gehör leisteten. Er selbst leistete Abhandlungen über das Selbstverständnis der Bundeswehr als ganzes. Wenn ein Kameraden Wichtig hoch drei sowas in die Welt trötet, ist es leider sehr lästig und störend, zum Beispiel wenn man in eine Lektüre vertieft ist.

Dieses Lästige wird dann noch einmal gesteigert, wenn die Weisheiten des Kasernenhofs auf eine geradezu infantil unterwürfige Art und Weise hinausposaunt werden. Immer mit dem Blick nach allen Seiten: „Na, Kinder, hört Ihr auch alle einem Bundeswehrsoldaten zu, der Euch jetzt mal erklären möchte, was Demokratie ist?“ Und natürlich ist es dann wieder „die Natur des Menschen“, die eine Bundeswehr nötig macht.

Urfaschistische Denke

Jaja, ganz logisch: Es liegt in den Genen, dass deutsche Menschen Waffen und Munition bei der Bundeswehr klauen, und es ist die „Natur des Menschen“, überall auf der Welt Zivilisten zu ermorden und Helfer:innen im Stich zu lassen. Nirgendwo sind es Befehlshaber, die ihre Skrupellosigkeit gegen Wehrlose ausleben dürfen und unter Androhung von Strafen das Morden befehlen. Überall auf der Welt gibt es nur noch präfaschistisches Biedermeier in Tarnkleidung. So wie in deutschen Zügen namens Marschbahn. Da muss dem Zivilisten mal kräftig der Marsch geblasen werden. Unironisch gesagt: Das Kämpfen als Natur des Menschen zu verkaufen, ist nach Umberto Eco eines der 14 Anzeichen für den Urfaschismus.

Der Mann erläuterte, dass er in der Husumer Kaserne dafür zuständig sei, den Soldatinnen und Soldaten eine „geordnete Unterbringung in Containern“ zu sichern, wenn sie sich an den Kriegen in anderen Ländern beteiligten. Außerdem erläuterte er, dass er bereits dreizehn Bundesminister:innen der Verteidigung gedient habe. Als die Plapper-Omas ihn dann noch dazu verleiteten, Zensuren für die Ministerinnen zu verteilen, die er erlebt habe, ließ er sich gar zu vergleichenden Werturteilen über die Qualität von Ministerinnen herab. Oi! Oi! Oi! Immerhin wurde er ein bisschen leiser. Unrechtsbewusstsein? Denn:

Das darf das nicht

Jetzt können wir alle einmal schmunzeln darüber, wenn unsere mutmaßliche Soldateska in den Mitfünfzigern ein paar Omis imponieren möchte. Dennoch möchte ich hochoffiziellich an der demokratischen Zuverlässigkeit dieses höchstritterlichen Feldjägers zweifeln. Der Satz, dass ihm in Dienstkleidung keine solche öffentlichen Urteile zustehen, müsste der Jäger des Feldes zumindest dann parat halten, wenn er die Existenz der Bundeswehr nicht mit totalitären Machtansprüchen sondern mit militätischen Notwendigkeiten für die Demokratie begründen möchte.

Diese Demokratie verlangt, dass ein deutscher Feldjäger politische Werturteile nicht in Ausübung des Berufes verkündet. Dies tut in einer Demokratie ein Soldat noch nicht einmal, wenn er vom Parlament befragt wird. Statt dessen hält er sich an Fakten und schwadroniert nicht lauthals in der Marschbahn über die Natur des Menschen herum. Nur damit wir uns nicht missverstehen: In der Natur ist es nicht üblich, dass Lebewesen derselben Art sich gegenseitig massakrieren. Dieses mindewertige Verhalten brachten meist religiös motivierte Verschwörungstheorien über andere Sorten des Menschseins hervor. Das geschah zumeist in rechtswidriger Bereicherungsabsicht einzelner Rottenführer. Sie wollten Herrschaftsräume erobern. So machten sie Lebensräume zu Gefängnissen der Fremdherrschaft. Gierige Adelige entwickelten dann daraus Armeen, deren Existenz wir heute als normal erachten (sollen).

Das war ein Fake-Mensch

Deshalb muss ich annehmen, dass eine Person mit den Insignien der Bundeswehr in der Öffentlichkeit herumtrollt und unqualifiziert dummes Zeug im Namen der Bundeswehr plappert. Dies gebe ich Ihnen hiermit zur Kenntnis.

Wirtschaft Distrikt Setúbal

Alcácer do Sal

Pinienkerne. 15% der Weltproduktion, 67% der nationalen Produktion.

Alcochete

Tja, wovon lebt Alcochete? Immerhin 20.000 People.

Almada

Stadt und Kreis präsentieren sich als Innovationsstandort mit vielen Einrichtungen der beruflichen Bildung und Fortbildung.

Barreiro

Grândola

Moita

Montijo

Palmela

Santiago do Cacém

Seixal

Sesimbra

Setúbal

Sines

Euro-Nachrichten

Aktuelle Berichte über die EU-Mitgliedsländer sind in deutschen Medien eine hässliche Wissenslücke. Wer Infos zum Beispiel über #Portugal sucht, ist dennoch nicht völlig verratzt. Gelegentlich taucht es in den Europamagazinen einzelner öffentlich-rechtlicher Sender auf. Wichtiger sind allerdings die Internetportale.

–> zu empfehlen:

EURACTIV

Euractiv ist ein prominentes Nachrichtenportal, das auch in einer deutschen Version abgeboten wird. Deutschsprachige Medienpartner:innen sind die Wirtschaftswoche und der Tagesspiegel. Das Portal hat auch eine mastadon-Instanz, die auf die englische Leitseite führt: euractiv@masto.ai Hier wird auf die englisch-sprachigen Artikel verlinkt. Nachrichten sind auch bei Telegram zu abonnieren. Die Suchfunktion nach einzelnen Ländern ist auf der Website recht fix nach Relevanz sortiert, und lässt sich ebenso fix auf Aktualität erweitern. Der portugiesische Partner ist die Agentur Lusa.

Ganz witzig ist Treffpunkt Europa. Die Suchfunktion schaltet auf die französische Version der Seite, die Ergebnisse sind dann europäisch, also vielsprachig. Ein echtes EU-Erlebnis. Eine portugiesische Version gibt es nicht. Hier finden sich Hintgergrundberichte, teilweise ausführlich analysierend.

Arte

Suche in der Mediathek nach Deinem EU-Land. Beispiel nach Portugal. Als Sendereihen sind in erster Linie die Reportage-Magazin Re: und die Kulturredation mit dem Magazin Stadt-Land-Kunst relevant. Hier finden sich allerdings eher die herausragenden Themen. Wer täglich dran bleiben möchte, hat gelegntlich Glück im ARTE-Journal, deren Ausgaben sind allerings nur zwei Tage online.

–> Tipp: Deutschlandfunk

Wer nicht sehen kann, darf hören, auch nachhören. Es gibt werktäglich (außer SA) das Journal „Europa-heute„. Morgens um zehn nach neun, nach dem Kalenderblatt mit jeweils drei Beiträgen Hintergrund. Die Beiträge finden ihren Weg auch in die Informationen am Morgen, aber da muss mensch dann von fünf bis neun zuhören, um einen Europa-Keks zu erwischen.
Die Suchfunktion auf der Webseite ist zuverlässig und schnell. Die Sortierung ist chronologisch, das Aktuellste zuerst. Scrollen macht deutlich: Die Redaktionen legen Wert auf Zusammenhänge, die einzelnen Beiträge ergänzen sich zu einem sinnvollen Gesamtbild.

Dagegen hat Dlf Kultur Sendepause. Waldbrände, Fußball und den 80. Geburtag von Lobo Antunes gibt es auch im Deutschlandfunk.
Dlf-nova? Schweigen wir über ein anderes Thema.

The Portugal News

The Portugal News erscheint in englischer Sprache im Verlag von Paul Allen-Luckman in Lagoa (Algarve), Es gibt automatische Übersetzungen auch ins Deutsche nach dem guten alten Google Niveau – „menu“ wird als Speisekarten übersetzt. Im nüchternen angelsächsischen Nachrichtenstil wird berichtet. Die Aufmachung der Webseite erscheint dem Alemão wie ein Boulevardblatt. Das ist völlig landestypisch, es sieht boulevardig aus, aber korrekt.

–> Vergiss es:

(Print-)Medienportale

Tja, Politico.eu, berichtet über Europa für US-Leser:innen. Es ist bereits sehr wertend in der Nachrichtenauswahl. Es werden angeblich europäische Trends ausgemacht, die an Beispielen illustriert werden. Wer Spiegel-Journalismus mag, wird das mögen. Die Suchfunktion der Website ist uneffektiv. Es werden alle Seiten ausgeworfen, die das Suchwort enthalten. Der Infowert ist sehr schmalbrüstig, jedenfalls für europäische Leser:innen. Der Verlag gehört jetzt zum Springerkonzern.

Das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel wirft bei der Suche nach ‚Portugal‘ auch die Nachricht aus „Berliner Zoo wegen Vogelgrippe geschlossen“, kann man solche Medien noch ernst nehmen? So geht es bei deutschen Zeitschriften und Zeitungen weiter.

Fernesehsenderinnen

Die ARD hat seinen Weltspiegel. Europa hat dort nicht so viel Platz. Ein Land wie Portugal kommt vielleicht vierteljährlich vor. Der Kanal taugt für Reiseberichte, die Arte aber besser kann.
Das ZDF hat werktäglich um 16 Uhr das Magazin „heute in Europa„. Das geistige Niveau, mag dieser Screenshot zeigen:

Das redaktionelle Niveau von "heute in Europa" folgt dem Motto 'welchen Opa erreich' ich zu Europa.
Welc hen Opa schick‘ ich in Europa? fragten einst die politischen Parteien. Im ZDF ist das Thema noch immer auf diesem Klippschulniveau.

Die Suchfunktion des ZDF zum gewählten EU-Land macht deutlich: Gehe lieber zu Arte, sonst gibt’s hier nur Gedöns oder Fußball.

Wer im Wissenskanal der ARD nach EU-Ländern durchsuchen möchte, muss beim Südwestfunk oder beim Westdeutschen Rundfunk nachschauen. ARD alpha hat einen gelehrten Namen, aber keine Suchfunktion. Die anderen ARD-Sender haben nur lokale Themen auf dem geistigen Niveau des ZDF. Hier das Leuchtturmprojekt des Rundfunks im Norden:

Der hanseblick, der Hanseblick, der hat den deutschen Blick im Klick. Keine Angst, beim WDR wird’s noch schlimmer …

International sieht es nicht viel besser aus:

euronews.com ist ähnlich wie Politico. Dahinter steckt ein TV-Sender, der von einem ägyptischen Oligarchen gegründet wurde und 2022 vom portugiesichen Männerclub Alpac Capital übernommen. Ihm wird laut Wikipedia eine ideologische Nähe zum ungarischen Machthaber Orban nachgesagt.

Der Markt der Wahrheiten

Das Ende des Glaubens

Judith Arlt wirft in ihrem Essay über den Luxus der Sprache die Frage auf, ob die Erzählungen (Narrative) in Presse, Medien und Politik Mord und Gewalt rechtfertigen. Wir haben Mitte des vorigen Jahrhunderts damit begonnen, unterschiedliche Wahrheiten nebeneinander gelten zu lassen. Seitdem gibt es nicht nur das Wahrheitsverständnis der Naturwissenschaft. Daneben sollten parallel gültige Wahrheiten gelten dürfen. Der öffentliche Diskurs sollte dann richten, welche Wahrheiten in der Gesellschaft sich durchsetzen. So wurde die Wahrheit zur Ware im globalen Diskurs.

Die parallelen Wahrheiten können auf dem religiösen Glauben, auf einer Ideologie oder auf Fantasie, also literarischen Erzählungen beruhen, wie zum Beispiel der berüchtigten Erzählung über die Weisen von Zion oder anderen Märchen. Auch Personen im öffentlichen Leben bedienen sich solcher Weltsichten. Wir hatten einen Präsidenten der USA, der an seine eigene Herrlichkeit glaubt. Wir haben religiös geprägte Freunde Hitlers, die an die Judenreinheit der arabischen Welt glauben. Wir haben in Deutschland Gauländler, die aus der deutschen Geschichte die ethischen Maßstäbe für neue Vogelschisse ableiten. Ein Weltmarkt der Eitelkeiten.

Wir sind also heute so weit, dass das Narrativ, also die erzählte Geschichte, das Verständnis von Wahrheit ersetzt hat. Den meisten erscheint es plausibel, wenn jede Menschin ihre eigene Wahrheit hat und danach handelt. Wir kannten einmal Glaubensfreiheit, sie war Teil der Menschenrechte. Wir grenzten sie zur gesicherten Erkenntnis, der Wahrheit ab. Wir kannten einmal die geheimdienstlichen Legenden. Sie dienten der Spionage, der Zersetzung, der Desinformation, der Delegitimierung des jeweils anderen. Nun hat der globale Diskurs über Glauben, Legenden oder Narrative ein neues Prinzip hervorgerufen. Heute gibt es eine Wahrheitsfreiheit, die die alte Glaubensfreiheit einschränkt oder gar abschafft. Und sie bedroht den Primat des Wissens.

Die Dynamik des Wissens

Nach wissenschaftlichem Verständnis ist die Wahrheit dynamisch. Sie kann sich ändern. Dazu muss es jemandem gelingen, eine bestehende wissenschaftliche Aussage zu widerlegen. Was gestern galt, gilt morgen nicht mehr unbedingt. Das ist für viele Menschen zu schwierig. Die Menschen wollen etwas, das in ihrem eigenen Leben konstant bleibt. Sie wollen in Paradigmen aus der Zeit ihrer Erziehung verharren.

Wissenschaftliche Wahrheit hat sich überall dort durchgesetzt, wo Vorhersagen möglich sind. Der Wetterkunde hat niemand geglaubt, bevor ihre Vorhersagen immer häufiger verlässlich waren. Mondkalender oder Schafskälte haben ausgedient. Wetterkundige beschränken sich auf Vorhersagen für ein bis zwei Tage. Sonst erginge es ihnen wie der Klimakunde, deren Prognosen wir Unkundigen viel schwieriger prüfen können. Wir erinnern eben nicht genau, wie der Durchschnitt vor 50 Jahren aussah. Deshalb misstrauen wir.

Die Vorhersage, dass der Apfel vom Baum auf den Boden fällt, hat hingegen für die meisten Menschen einen hohen dauerhaften Wahrheitswert. An dieser Stelle glauben die meisten der wissenschaftlichen Wahrheit. Dass Flugzeuge auch wieder sicher landen können, hat so eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die meisten Menschen dies als Wahrheit akzeptieren.

Die Macht im Diskurs

Auch die Prognosen des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums haben sich 50 Jahre später als erstaunlich präzise erwiesen. Dahinter steckte ein ähnlich vielschichtiges Modell wie bei der Klimaforschung. Aber es gibt keine starken, finanzmächtigen Interessen, die für die Richtigkeit der Analysen teure Werbekampagnen fahren. Club of Rome oder Klimaforschung haben keine große Wirkmacht. Anders bei der Gentechnik. Sie könne den Welthunger besiegen, dafür wirbt die globale Börsenwirtschaft. So wie sie schon dafür warb, dass DDT, Agent Orange oder andere chemische Kampfstoffe den Welthunger besiegen könnten. Betrachten wir den öffentlichen Diskurs als eine Art globalen Markt der Wahrheiten, dann gilt heute das Recht reicher Weltkonzerne, die Wahrheit zu bestimmen, egal ob ihre Vorhersagen zutreffen oder nicht. Wissenschaftlich wahre Aussagen zu komplexen Themen werden schlicht ignoriert. Wer die Macht hat, bestimmt, welche wissenschaftlichen Aussagen die Oberhand gewinnen. Andere werden rhetorisch klein gemacht.

Der Erfolg dieser Strategie steckt in der Natur unserer Art. Im wissenschaftlichen Sinn ist die folgende Aussage einfach aber wahr: Jeder Mensch wird eines Tages sterben. Wir können das leicht überprüfen. Obwohl wir alle selber merken, dass wir immer älter werden und dem Tod näher rücken, verdrängen wir diese Wahrheit ein Leben lang. Diese einzige wirkliche Sicherheit in unserem Leben möchten wir nicht wahr haben. Wir denken uns Geschichten aus, um dieser Wahrheit zu entfliehen. Das ist unsere Weltsicht, unser Glaube, unser Narrativ.

Die Macht des Könnens

Den eigenen Tod können wir nicht verhindern. Andererseits können wir den Tod jedes Menschen herbeiführen. Denn wir wissen wie es geht. Alle Medien machen dafür reichlich Reklame mit ihren Unterhaltungsprogrammen. Um sich bewusst für das Töten eines anderen Menschen zu entscheiden, brauchen die meisten einen triftigen Grund. Den liefern wieder die Geschichten, zum Beispiel Geschichten vom erneuten Leben, vom Heldentod oder von einer überirdischen Gerechtigkeit. Diese Geschichten erlauben den Mörderinnen und Mördern, das Töten anderer Menschen für richtig oder gerecht zu erklären. Die parallelen Wahrheiten sind einfacher als die dynamische Wahrheit der Wissenschaft. Sie gibt uns die Kraft, den eigenen Tod auf später zu verdrängen und andere zu töten. Unsere Art betreibt dafür allerdings einen großen artfremden Aufwand.

Gemeinschaft statt Staat

Die Verhaltensforschung beobachtet bei einfach gestrickten, aber dennoch klugen Tieren die Bildung von Staaten, zum Beispiel bei Bienen, Ameisen oder Termiten. Hier kann jedes einzelne Tier jede Rolle einnehmen, die Tiere funktionieren im System. Sie sind in ihren Funktionen austauschbar. Wirbeltiere sind etwas komplizierter ausgebildet. Sie haben unterschiedliche Stärken oder Schwächen, sie sind Individuen. Wird eine Hauskatze frühzeitig von der Mutter getrennt, wird sie höchstwahrscheinlich weniger Mäuse töten und fressen. Sie hat den sicheren tödlichen Biss nicht mehr so gut drauf. Mutti hat es ihr nicht gezeigt. Dieses Individuum muss dann Aas fressen oder Dosenfutter. Diese Wirbeltiere bilden keine Staaten, sondern Gemeinschaften, deren Teilnehmerinnen auch wechseln können.

Viele Menschen werden dazu erzogen, ihre Artgenossen am Leben zu lassen. Der tödliche Biss wird ihnen abgewöhnt. Ist die Hemmung zu töten aber überwunden, fällt es einigen von einem tödlichen Biss zum nächsten leichter zu töten. Und die Menschen töten dann sogar auch ihre eigenen Artgenossen. Sie verlieren nach und nach ihre Gewissensbisse. Andere kultivieren ihre Hemmungen und sind vom Schlachten so angewidert, dass sich in ihrem Innern ein Trauma bildet. Allerdings führt das Verdrängen des eigenen Todes im alltäglichen Leben auch dazu, dass krankes oder siechendes oder bewusstloses Leben als lebensunwert angesehen wird. Krankheit kann also den Grund – oder Vorwand – zum bewussten Töten von Artgenossen bieten. Ob wir das als Töten, Morden oder Prügeln mit Todesfolge bezeichnen ist gleichgültig. Jurist:innen in unseren menschlichen Gemeinschaften unterscheiden all diese Tötungsformen, um unterschiedliche Strafen zu rechtfertigen. Aber für uns Menschen in unserer Wirbeltiergemeinschaft ist entscheidend, ob wir das Töten verhindern wollen oder nicht.

Staat innerhalb der Gemeinschaft

Nun hat der Mensch als Wirbeltier auch wieder streng hierarchisch geprägte Staaten ausgebildet, zum Beispiel Heere und Armeen. Hier werden die Menschen entpersönlicht und zu Tötungsrobotern gemacht oder auf die Bedienung mechanischer Tötungsroboter trainiert. Der Staat ersann die Pflicht als Tötungstermite zu dienen. Seit dem kollektiven Trauma des Vernichtungskriegs, der 1945 endete, wurde die staatliche Tötungspflicht leicht gelockert. Männer durften sich entscheiden, nicht zu töten.

Diese Entscheidung gegen das Töten wurde im postfaschistischen Deutschland gerne den männlichen Jugendlichen besonders schwer gemacht. Die Prüfung führte das Militär selbst durch. Es wurden Situationen diskutiert, um ein wahrhaftiges Gewissen von dem eines Simulanten zu unterscheiden. Da sollte mann sich vorstellen, die Vergewaltigung seiner Freundin zu tolerieren, während mann selbst eine Feuerwaffe auf der Schulter trug.

Bei diesen Diskussionen saßen drei militärische Gewissensprüfer einem jungen Menschen ohne Tötungsabsicht gegenüber. Sozusagen drei mutige Menschen gegen einen Feigling. Sie lauerten wie die Hyänen auf jeden falschen Satz des Tötungsverweigerers, um dessen Gesuch abzulehnen. Sie machten aus ihrem skrupellosen Vernichtungswillen keinen Hehl. Ein Militär erläuterte mir, dass man Menschen wie mich früher an die Wand gestellt hätte. Er drohte mir also, dass mir eine anonyme Masse mordwütiger den sicheren Tod bringen könnte. Solche Drohungen mit solchen empfindlichen Übeln waren der freiheitlich-demokratischen Polizei schon damals verboten. Die freiheitlich-demokratischen Militärs durften sich noch in solchen blutrünstigen Träumen suhlen.

Die eigene Geschichte

Ich selbst habe vier Mal solche Prüfungsverfahren erlebt, bevor ich das Recht hatte, vor ein ziviles Gericht zu treten. Da gab es einen genussreichen Moment. Eine Gewissenprüferin mit mütterlich ausgeprägter Oberweite fragte mich, was denn meine Mutter von meiner Verweigerung des Tötens halte. „Welche Mutter schickt ihre Kinder schon gerne an die Front.“ Sie erhob sich, beugte ihren Körper über den Tisch und sagte währenddessen: „Ich wäre stolz, wenn mein Sohn auf dem Feld der Ehre … “ Und in diesem Moment, als ihr Halsausschnitt unter meiner Nase schwappte, verreckte ihre Stimme. Was sie hätte sagen können? Mein Sohn auf dem Feld der Ehre elendig verbluten würde? Mein Sohn auf dem Feld der Ehre sein ewiges Leben krönen würde? Nein, ihre Stimme verreckte und der letzte Rest des Wesens ihrer Wirbeltierart obsiegte. Er hatte ihr die Sprache verschlagen. Manchmal führt eben auch der ungerechteste Diskurs zur Wahrheit.

Trotzdem hatte ich diese Runde verloren. Mein Gewissen wurde als unwahr bewertet. In der Begründung gab eine politische These den Ausschlag. Ich hatte die Wahrscheinlichkeit, dass mein Staat einen Krieg außerhalb der eigenen Grenzen führe, mit 50:50 bewertet. Das deutsche Militär ließ damals aber ausschließlich die Antwort null Prozent zu. Heute wissen wir, dass ich 50% mehr Wahrheitsgefühl besaß als das deutsche Militär. Die Wahrheit ist halt dynamischer als sich das so eine Militärkommission vorstellen kann.

Das Märchen der Mordmaschine

Die Wehrmacht unseres Staates hat noch keinen einzigen militärischen Einsatz im eigenen Land vollzogen. Wie lautet die unwissenschaftliche Erzählung für diese Wahrheit? Friedensmissionen in fremden Ländern und Kulturen. Alle Tötungen waren dabei Kollateralschäden. Die Tötung eines Menschen ist also nur ein Sachschaden wie ein kaputter Kotflügel. Wer solche Sachschäden erfolgreich verursacht, wird in der Hierarchie befördert. Wir dürfen also vermuten, dass die Verursacher der Schäden zu der Kategorie Mensch gehört, die nach dem ersten Tötungsdelikt nach weiterem Töten gieren. Im alltäglichen Leben würden wir von Massenmördern sprechen. In ihrer Weltsicht, in ihrem Narrativ sind sie aber die Erlöser.

Für jedes Militär benötigen wir eine Erzählung. Die Basis-Erzählung ist der eigene Lebenswille. Meine Mutter sagte, ich solle dem anderen eine reinhauen, wenn er mich anspuckt oder tritt. Rache, Vergeltung, Auge um Auge. Die nächste Eskalationsstufe ist die katholische Mafia-Familie. Wird ein Mitglied aus dem Clan beleidigt, bekommt der Täter die Rache des Clans zu spüren. Das gleiche Modell der Clans kennen alle Wirbeltier-Gemeinschaften, die an einen Alleinseligmacher glauben. Mehrere Clans bilden eine Oligarchie, sie und ihre Sklaven, Leibeigenen oder Arbeiter:nnen bilden eine Volksgemeinschaft.

Die Volksgemeinschaft wiederum bildet dann den Staat einer Wehrmacht aus. Auf dieser Stufe benötigen wir eine neue Erzählung. Wir brauchen das Konzept der Guten. Alle Angehörigen aller Clans in einer Oligarchie haben das Recht in ihrem Gauland zu leben. Überall wo die Gauländler in der Mehrheit sind, ist Gauland. Nichtgauländler, die über Gauländler herrschen, sind Nazis. Wenn einzelne Gauländler lieber in einem Land leben wollen, das nicht Gauland ist, sind sie auch Nazis und Verräter. Alle dürfen gnadenlos vergewaltigt, ermodert oder weggebombt werden.

Diese Weltsicht, diese Erzählung, dieses Narrativ ist so alt wie die Geschichte aller Religionen. Deutschland war ein solches Gauland, die arabische Welt besteht aus muslimischen Gauen, Russland auch.

Der Krieg ist das Verbrechen

Als sich Mitte des vorigen Jahrhunderts behäbig und langsam die Einsicht breit machte, dass die Massenmorde unserer Art in oligarchischen Gauländern nicht dem Arterhalt der eigenen Art dienen, ersannen wir die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und das Völkerrecht. Es hat einen erheblichen Mangel. Es akzeptiert den Krieg als Politik und kennt Verbrechen innerhalb dieser Kriegspolitik. Sie nannten es damals Kriegsverbrechen. Der Krieg selbst aber ist das Verbrechen. Egal ob wir den Krieg einen Friedenseinsatz, eine Spezialoperation oder einen Verteidigungskrieg nennen. Wir müssen die Menschenrechtserklärung neu erfinden und den Krieg vollständig ächten. Das wird wohl einige Zeit dauern. So lange, bis es in allen Gauländern den Müttern die Sprache verschlägt. So lange bleibt es ein ungültiges Narrativ. Noch verliert es im globalen Diskurs an Wahrheit.

Von Tomatenbäumen träumen

Das ist ja so eine Sache mit den Tomaten. Eigentlich gehören sie ja nicht hierher. Also hier, das ist die gemäßigte Zone mit Frost im Winter und Regen im Sommer. Trotzdem sind sie sehr beliebt, die Paradiesäpfel. Wir wollen sie am liebsten das ganze Jahr haben. Besonders die roten.

Das Gewächshaus ist voller Tomaten. Versprochen!

Im Frühjahr kaufen alle Umwelt- und Klima-Fans Tütchen. Die Samen aus den Tütchen legen sie fein säuberlich in Anzuchterde aus dem Gartenfachmarkt. Die keimfreie Anzuchterde haben sie vorher behutsam in eine Anzuchtschale gelöffelt. Darin dürfen exklusiv die Samen keimen. Aldi hat eine Fertigpackung mit alles drin. Im Internet zeigen Videos, wie wir auf gekaufte Erde verzichten können. Dann mischen wir unsere eigene Erde mit Sand aus dem Gartenfachmarkt. Die Werbung lobt uns. Respekt, wer’s selber macht.

Auf der Fensterbank können wir zusehen, wie sie keimen. Professionelle Hobbygärtnerinnen haben ein Gewächshaus. Das ist im Frühjahr noch zu kalt, dann schützen wir die Anzucht mit Styropor drumrum. Reiche Hobbygärtnerinnen können ihr Gewächshaus beheizen. Dafür gibt es keinen Zuschuss von der FDP.

Joghurtbecher von Hand waschen

Bald wird es unseren zarten Pflänzchen im Anzuchtkasten zu eng. Wir müssen sie in Töpfchen umpflanzen. Das nennen wir pikieren oder die Pflanzen vereinzeln. Im kleinen Töpfchen bekommen die Pflanzen nahrhafte Erde, damit sie kräftig weiter wachsen. Meistens brauchen wir mehr Töpfchen als wir haben. Wir können auch alte Jogurtbecher benutzen. Wenn wir immer den gleichen Jogurt essen, können wir die Becher besser stapeln. Das spart Platz im Schuppen. Wir müssen die Becher mit der Hand abwaschen, denn in der Spülmaschine ist es zu heiß. Jedes Becherchen müssen wir beschriften, sonst wissen wir hinterher nicht, welche Sorte in welchem Becher wächst.

Es gibt viele verschiedene Sorten bei den Tomaten. Große, glatte, fleischige, süße, gelbe, runde – alles. Wer aus dem eigenen Gewächshaus selber Saatgut nimmt, kann ganz viele neue Sorten ernten. Das funktioniert auch bei Paprika. Wir hatten einmal eine große dicke rote Paprika, scharf wie Chily. Das ist unpraktisch und sie wird nicht gegessen.

Sorten sammeln im Verein

Bohnen sind auch schön

Viele sammeln ganz viele Sorten. Solange bis sie nur noch Tomaten essen. Die sind ja alle verschieden. Schon bald sind die Sammlerinnen mit dem Sammeln überfordert. Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder sie gründen einen Verein, um viele Leute zu finden, die die vielen Sorten mitsammeln. Oder sie hören auf, Tomaten zu sammeln. Bohnen sind auch nicht von hier und brauchen Pflege. Hier, also in der gemäßigten Zone mit Frost im Winter und Regen im Sommer.

Wenn es im Sommer keinen Frost mehr gibt, können wir die Tomaten auspflanzen. Ganz mutige setzen sie ins Freiland. Nach zwei Jahren brauchen sie entweder ein Tomatendach oder ein Gewächshaus. Besonders dann wenn die Sommer sehr feucht sind. Das mögen die Tomaten nicht, denn der Krautfäulepilz findet die Blätter der Tomaten ganz toll. Die Blätter sind dann alle weg, bevor die Früchte süß und lecker werden.

Wässern um des Wässerns willen

Tomaten müsse fachkundig bewacht sein.

Im Gewächshaus müssen wir aufpassen, dass sie dann genug Wasser bekommen. Dort wo die Tomaten zu hause sind, gibt es im Sommer wenig Wasser vom Himmel. Darum haben sie sich Wurzeln angewöhnt, die ihr Wasser ganz tief aus der Erde holen. Das könnten wir ihnen auch hier bei uns zumuten. Sie würden sich freuen. Aber wir haben Angst, dass sie es nicht schaffen. Außerdem haben wir ganz viel Wasser.

Wohlhabende Tomatenexpertinnen pflanzen ihre Tomaten in Töpfe. Die stehen dann auf Betonplatten an der wärmenden Hauswand. Im Baumarkt gibt es Sperren, die verhindern, dass die Wurzeln unten aus dem Topf rauswachsen. Noch haben die Pflanzen keine Pflanzenrechte, noch dürfen unsere Umweltretterinnen die Pflanzen in Töpfe sperren. Sollen wir eine Pflanzenrechtsbewegung gründen?

Raus aus den Töpfen! Freiheit für alle Faulpilze!

Egal! Wenn die Tomaten rot sind, können wir sie ernten. Und essen. Fleischtomaten können wir einwecken. Und wir können selber Ketchup daraus rühren: Ein Glas Tomaten passieren, im Topf mit einem pürierten Apfel, Knofi, Salz und Pfeffer sowie einem Schuss selbst gekelterten naturtrüben Weinessig so lange köcheln lassen, bis der Ketchup reif ist. Der kann ganz nach Gelegenheit mit Chily oder Curry gewürzt werden. Das Zeug ist so aromatisch, dass ich nie wieder Chemie-Ketchup kaufen werde.

Der Künstler hat den dicksten

Das neue Ding in Meldorf. (c) freistern.de

Die GOS fragt danach, wie das neue Kunstwerk am Zingel in Meldorf denn so ankäme. Ja, wie kommt sie denn an, die Röhre mit Löchern? Ich habe noch keine Beziehung zu dem Ding aufgebaut. Es ist groß. Ja sooo groß, größer als die Häuser. Aber das Ding sagt mir nichts, außer vielleicht, dass die Statik auch Stürme übersteht.

Unverständnis …

… wecken bei mir besonders diejenigen Kunstwerke, die städtebaulich gewünscht sind, auf dem Rathausplatz und am Zingel. Sie stehen solitär vor sich hin und haben keinen wirklichen Bezug zur Stadt. Sie wollen wichtig sein, und sie sind wohl auch gewichtig, vielleicht sogar übergewichtig. Stellen wir uns vor, das Ding mit den Löchern stünde zwischen Hochhäusern in einer Großstadt: Dann könnte es leicht aussehen. An der Stelle mit den niedrigsten Häusern einer Stadt mit niedrigen Häusern, sieht es aus wie der toxische Pimmel gescheiterter Männlichkeit.

Was macht andere Kunstwerke in Meldorf so besonders? Da steht der Niebuhr von Manfred Sihle-Wissel in einer Nische des Doms. Der Künstler wählte seine Figur aus der Zeit, als Niebuhr sich den morgenländischen Landessitten bereits angepasst hatte. Denk mal: Er hatte sich vom Kolonialismus abgewandt, bevor die Preußen Kolonien hatten und Kunst raubten! Niebuhrs Blick ist auch der Kirche abgewandt, er schaut auf das Haus, das er zu Lebzeiten bewohnte. So viel können wir an dieser Büste erkennen. So feinfühlig ist es in die Stadt gesetzt.

Im Schatten des Doms …

… steht Schwinghammers Kriefsgefangener, der gerne wieder aus der Gefangenschaft nach Hause zurückkehren möchte. Er schämt sich ein bisschen, friert wohl auch und gibt ein eher demütiges Bild ab. Ganz anders als sein abgemagerter Kamerad in Heide, der der ganzen Welt seinen Hunger hinausschreit. Doch wer wollte ihm das verübeln? Die Skulpturen sind Zeugnisse ihrer Zeit, der frühen Bundesrepublik. Die Menschen waren innerlich so gespalten wie diese Figuren.

Ähnlich dramatisch geht es im Speicherkoog zu. Für Nordermeldorf kaufte der Kreis die Zugvögel von Fritzi Metzger. Genial aus Schiffsstahl geschweißte Vögel, kilometerweit sichtbar. Das passt wie Arsch auf Eimer. Und nachhaltig, die Farbe hält Jahrzehnte, der Stahl war Abfall, Künstlerin und Werftarbeiter standen im Dialog. Wie stark ist eine solche Aussage im Vergleich zu einer übergewichtigen Röhre mit Löchern, die sich selber nichts als wichtig nimmt und nur auf Fotos leicht daherkommt? Sie soll einen Schwung verkörpern. Es ist der erstarrte Schwung der rauchenden Schlote von Hemmingstedt. Von César Manrique hat der Künstler anscheinend nie etwas gehört. Oder er schwingt einfach nicht.

Meer aus Stein

Ganz anders Paul Heinrich Gnekow, der am Hafen das Meer in Stein haute. Und darauf hat er den Titel „Trutz Blanker Hans“ gehaut. Wer trutzt hier wem? Der Blanke Hans den Hanseln, die ihn bezwingen wollen oder umgekehrt? Ich muss das alles nicht herleiten. Aber ich kann es lesen, auch dieses Kunstwerk spricht mit mir.

Das Landwirtschaftsmuseum beherbergt eine Sammlung alter Trecker und so. Davor ein kleines Technikmuseum von Dieter Koswig, das mich schmunzeln lässt. Mit seiner Zeitmaschine auf dem Kreisel ist Koswig erst in einen Dialog mit den Menschen in der Stadt getreten. Wir durften uns mit seiner Zeitmaschine anfreunden. Heute ist der gesamte Kreisel so gestaltet, dass er die Zeitmaschine jahreszeitlich inszeniert. Koswig denkt abstrakter als all die anderen Künstler:innen, dennoch können andere Akteure seine Arbeiten vortrefflich inszenieren.

Künstler macht Kunst sichtbar

Ach ja, Jürgen Wilms fertigte einen Kubus aus Faschinenholz. Er setzte sich mit einem für unsere Küste lebenswichtigen Material auseinander. Täglich können wir beobachten, wie spröde sich dieses Material an der frischen Luft verhält. Erstaunlich dass es dem Künstler gelang, es zu bändigen. Besonders raffiniert die Kanten, alles ist offen sichtbar. Hier hat jemand eine Kunst sichtbar gemacht, die täglich zwei Mal in der Flut verschwindet? Das regt die Gedanken an. Lustig dass die bunte Bank davor unsere Blicke auf das Pimmelding leitet.

In welchen Dialog können wir mit diesem Werk am Zingel treten? Ich seh’s nicht. Wird sich ein Kuckuck auf dieser Stahlwolke niederlassen? Und in wessen Nest legt er dann seine Eier? Die neue kastrierte Stadtbebaumung gewährt keinen Lebensraum. Da müssten wir wohl noch erst Kieler Stadttauben importieren. Die brüten überall. Und unsere dichte Katzenpopulation wird dann lecker Rührei essen. Auch vom Publikum wird diese Art der Bebaumung nicht ernst genommen. Als Fahrer im Bürgerbus habe ich mehrfach gehört, wie die Leute dort Bäume vermissen. Was da steht, sind keine Bäume. Die Bäume werden übersehen. Der Stahl ist größer als die Bäume. Der Künstler hat den dicksten, aber da waren wir ja schon mal. …

Land lässt Elbfähre scheitern

erscheint in der Februar-Ausgabe von gegenwind

Am 15. Dezember vorigen Jahres musste die Elbferry ihren Betrieb einstellen. Vorher hatte sie über acht Monate Cuxhaven und Brunsbüttel mehrmals täglich miteinander verbunden. Den Betrieb hatte die Elbferry GmbH am 1. März mit der gecharterten Greenferry I aufgenommen. Die dritte Coronawelle deutete sich schon an, Ostern und Pfingsten fehlten dann auch die Tagestouristen. Dennoch lief der Betrieb im Sommer wirtschaftlich, die Gesellschaft schrieb sogar schwarze Zahlen. Der Neustart der Fährlinie war also gut vorbereitet worden, es bestand Aussicht auf einen dauerhaften Erfolg.

Im Herbst kam die vierte Corona-Welle. Dafür hatte der Geschäftsführer der Elbferry Heinrich Ahlers vorgesorgt und bereits am 11. Juni 2021 Corona-Hilfen aus dem Härtefonds beantragt. Zur Erinnerung: über Corona-Hilfen sollte schnell und unbürokratisch entschieden werden. Das Kieler Wirtschaftsministerium von Bernd Buchholz (FDP) ließ fünf Monate verstreichen und lehnte diese Corona-Hilfen am 18. November ab. „Insbesondere wenn man die Ablehnungsgründe berücksichtigt, hätte man die Absage auch schon viel eher mitteilen können, was dem Unternehmen mehr Möglichkeiten zur Reaktion gegeben hätte“, moniert Ahlers auf Anfrage. Am 22. November musste er Insolvenz anmelden.

Insolvenzverwalter wurde der Bremer Fachanwalt Berend Böhme. Er wollte das Unternehmen retten, legte Widerspruch ein und bildete einen Runden Tisch, dem auch Abgeordnete und die Kommunalpolitik angehörten. Mit dabei der Landtagsabgeordnete Volker Nielsen (CDU), der als Bürgermeister von Sankt Michaelisdonn für die gesamte Region Menschen zusammenbringt und mit Infos versorgt. Er fasst die Gründe für die Insolvenz zusammen: „Die Pandemie mit ihren massiven Auswirkungen auf den LKW-Güterverkehr, der stark abgefallen ist, und eine Vervierfachung des Gaspreises machten einen wirtschaftlichen Betrieb unmöglich. Die Greenferry I fuhr mit Flüssiggas, das per LKW von Rotterdam in Cuxhaven oder Brunsbüttel angeliefert wurde.“

Wichtig für die Regionen

Alle regionalen Akteure hofften auf ein Einlenken der Landes. Für Süderdithmarschen und Cuxhaven ist eine solche Fähre lebenswichtig. Brunsbüttels Bürgermeister Martin Schmedtje berichtet dem NDR, die Stadt habe eine deutliche Belebung im Handel und in der Gastronomie gespürt. Das wirtschaftlich notwendige Hinterland sei der Stadt von der Fährverbindung „auf dem Silbertablett“ präsentiert worden.

In der Vergangenheit hatte die regionale Politik immer wieder versucht, einen Betrieb der Linie anzuschieben. Geografisch liegen die Regionen in Sackgassen, die Hauptwege führen über Hamburg. Die Fähre Glückstadt-Wischhafen, die die global tätige FRS aus Flensburg betreibt, ist keine Alternative. Sie verbindet keine regionalen Zentren, sondern südelbische Apfelplantagen mit nordelbischen Feuchtwiesen. Sie ist nur dürftig an das Straßennetz angebunden und überhaupt nicht an den Bus- oder Bahnverkehr.

Für die regionalen Zentren Brunsbüttel und Cuxhaven ist eine direkte Fähre öffentliche Daseinsvorsorge, also Aufgabe der staatlichen Instanzen. Für den regionalen Schienenverkehr müssen die Bundesländer die Verantwortung übernehmen. Aber beim Fährverkehr zögen sich die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen darauf zurück, dass sie trotz der regionalen Bedeutung nicht zuständig seien, erläutert Landtagsabgeordneter Nielsen. Die EU setze einem Engagement enge Grenzen.

Vorrang für neoliberale Ideologie

Trotz der großen Bedeutung der Fähre kam am 15. Dezember das Aus für die knapp sechzig Beschäftigten. Das Kieler Wirtschaftsministerium stützte sich darauf, dass ein Unternehmen in Insolvenz keine Hilfen mehr bekommen dürfe. Dieser Argumentation widerspricht Insolvenzverwalter Böhme: „Ich habe eine juristische Lösung über ein Insolvenzplanverfahren und die zeitnahe Aufhebung des Insolvenzverfahrens angeboten, so dass im Anschluss die beantragten Hilfen an einen Zwischenfinanzierer hätten ausgezahlt werden können.“ Eine schriftliche Begründung der Ablehnung des Widerspruchs lag bis Redaktionsschluss noch nicht vor, die Betroffenen waren auf telefonische Nachrichten angewiesen. Für Missverständnisse sind also noch alle Türen offen.

Ministeriumssprecher Harald Haase verwies zur Entscheidung des Bundeslandes auf die politische Forderung des Ministers Buchholz, diese öffentliche Aufgabe des Fährverkehrs müsse sich eigenwirtschaftlich tragen. gegenwind fragte ihn warum. „Wir leben ja in Deutschland ordnungspolitisch in einer sozialen Marktwirtschaft und da liegt es in der Natur der Sache, dass Unternehmen – dazu gehören auch Reedereien – sich wirtschaftlich allein tragen müssen. Sonst hätten wir ja eine sozialistische Planwirtschaft, wo der Staat für alles zuständig ist und alles finanziert“, lautete Haases Antwort.

Aufklärung tut not

Eigenwirtschaft, so nennt man die Wirtschaft von Bund, Ländern und Gemeinden. Dazu gehören Müllentsorgung, Stadtwerke, Bus und Bahn. Solche Betriebe haben eigene Einnahmen. Wenn die Kosten aber höher sind als tragfähige Preise erlauben, ist der Staat als Betreiber der Eigenwirtschaft in der Pflicht. Der Stadtstaat Hamburg, die Stadt Lübeck und die Landeshauptstadt Kiel stellen sich dieser Verantwortung. Alle dieser Fähren sind Teile öffentlicher Unternehmen, also subventionierter Unternehmen. Die Fähre Langeoog ist ein Eigenbetrieb der Gemeinde. Die Weserfähre Bremerhaven-Nordenham ist eine Eigengesellschaft der beteiligten Städte. Schleswig-Holstein und Niedersachsen lassen ihre strukturschwachen Küstenregionen im Stich und geben keine Hilfen. Ja sie verweigern sogar aktiv Bundeshilfen in einer nationalen Notlage.

Für die Kommunalpolitik der ärmeren Regionen wird es immer schwieriger. Die lokalen Akteure müssen selbst die Informationen zusammen sammeln und initiativ werden. Obwohl aus Kiel immer wieder zu hören ist, die Fähre sei wünschenswert, kann die Politik nicht einmal alternative Lösungen aufzeigen. Auch bei den Grünen und SPD wird beredt geschwiegen, öffentlich gestellte Anfragen blieben unbeantwortet.

Da die Fähre auch die Bundesstraße 5 mit der Autobahn A 27 verbindet, könnte sie theoretisch eine Fernverbindung zwischen der Westküste und Bremerhaven und Bremen sein. Die Verdienste des früheren CSU-Verkehrsministers Andreas Scheuer bestanden allerdings darin, Bayern mit Geldern des Bundes zu versorgen. Da hatte Brunsbüttel keine Chancen, Hilfe vom Bundesministerium zu bekommen. Brunsbüttels Bürgermeister Martin Schmedtje äußerte im NDR-Interview die Hoffnung auf die neue Ampelkoalition, die in dieser Frage ebenso gelb blinkt wie im Kieler Kenia-Haus.

Viele Vorbilder in Europa

Gerne versuchen Gegner:innen der Fährverbindung am Elbtrichter den Eindruck zu erwecken, dass Fährbetriebe grundsätzlich privatwirtschaftlich betrieben werden müssten. Dies ist sachlich falsch. In den Metropolregionen Europas ist es selbstverständlich, dass Fähren öffentlich betrieben werden, so in Hamburg, Berlin, Kopenhagen oder Lissabon. In Lissabon sorgt sogar eine staatliche Gesellschaft dafür, dass das Hinterland südlich der breiten Tejomündung angebunden wird. So gesehen könnte sich also auch die Metropolregion Hamburg dieses Elblinks annehmen.

Es ist bitter, wenn sich ein Minister wie Buchholz hinter Fake-News versteckt und der Kommunalpolitik Sand in die Augen streut. An der Küste ist es üblich und dringend nötig, sich gegenseitig unter die Arme zu greifen. Das ist beim Deichbau nicht anders als im Fährverkehr, den die friesischen Insulaner selbst regeln. An Land gilt das Spatenrecht: Wer nich will dieken, de möt wieken. Wir stecken dem Wirtschaftsminister den Spaten aufs Grundstück.

Kostenfrei über den Rhein

Gerne wird dieser Faktenlage mit der Behauptung ausgewichen, es gäbe keine öffentlichen Fähren im Länder überschreitenden Verkehr. Doch auch das ist eine sachlich falsche Schutzbehauptung. So gibt es Vorbilder für öffentliches Engagement in der Daseinsvorsorge mit solchen Fährverbindungen, zum Beispiel am Rhein. Die europäische Gebietskörperschaft Elsass betreibt drei Rheinfähren. Sie sind für die Nutzer:innen sogar kostenfrei. Diese Fähren sind im grenzüberschreitenden Verkehr tätig und dienen der Region und dem Tourismus. Bei Mannheim haben die Stadt Mannheim und der Kreis Rhein-Pfalz die Gemeinde Altrip mit einer eigenen Fährgesellschaft angebunden. Hier erreichen die Großstädter ein Naherholungsgebiet. Die Stadtwerke Konstanz betreiben eine Autofähre mit einer Fahrtzeit von 45 Minuten vom baden-württembergischen Friedrichshafen nach Romanshorn in der Schweiz sowie eine weitere innerdeutsche Fähre.