Das Rezidiv, 2. Abschnitt

Tagebuch, 2. Abschnitt Hämatologische Ambulanz I

Dienstag, 12. Juli 2022

Ich reise aus meinem Provinznest nach Hamburg. Ich habe so viel Zeit, dass ich bequem vom Bahnhof zur Klinik gehen kann, und bin dennoch zwanzig Minuten vor dem Termin da.

Nun also Hämatologie. Das AK Altona ist eine imposante Anlage mit eigener Bushaltestelle und großzügigen Treppenanlagen mit nachträglich angesetzten Aufzügen. Alle führen auf einen für Corona verschmalten Eingang. Das Personal hinter Glas bemüht fleißig seine Spiegelneuronen in Richtung Nachbarin, eine Task, zwei Leute. Ich muss mir eine Wartemarke ziehen und 45 Minuten warten. Jetzt bin ich 30 Minuten zu spät. Und leider, leider war diese Wartemarke für mich gar nicht zuständig. Am Tresen erhalte ich dann mit allergrößtem Bedauern die Auskunft, dass ich mich dort gar nicht anmelden müsse. Ich solle im Keller die Ambulanz 2 aufspüren. Ich muss auf eigene Faust durch die Klinikflure, erst eine Treppe runter, dann rechts und immer gerade aus, da sei alles ausgeschildert. Die Schilder sind für meinen beschränkten Greisengeist allerdings nicht barrierefrei. Das geht so lange bis ein freundlicher Mensch weiß, dass ich da hinten auf die Farbe blau starren solle, dort sei ein Eingang für mich. Dort komme ich dann effizienter Weise zu spät an, ziehe eine neue Wartemarke. Sorry, macht nichts. Ich war wieder zu Hause in der Hämatologie. Die Leukämie hatte mich wieder. Und wir haben ja alle Zeit der Welt.

Hier werden zehn Blutpröbchen genommen und nicht mehr nur fünf. Mein Zugang zur Lieblingsvene hat zwei Eingänge, nicht nur einen. Oder ist eines ein Ausgang? Hier gehen die Nadeln durch die Haut, dass ich es erst merke, wenn schon alles fertig ist. Das schmerzfreie Organ ist einfach ein ganz besonderer Saft. Und echte Vampire können schmerzfrei saugen.

Aber auch hier verrät mein Blut nichts. Nur mit den Leukozyten ist der untersuchende Oberarzt nicht ganz zufrieden. Aber alles andere sehe sehr gut aus. Er sagt mir, es sei sehr wahrscheinlich, dass ich die gesamte Behandlung wie vor 12 Jahren wiederholen müsse. Am besten müsse ich sofort stationär behandelt werden. Ich wende ein, dass er sicherlich zunächst eine Probe aus dem Knochenmark ziehen müsse, und bat ihn darum, dies ambulant vorzunehmen. Er nickt. Außerdem müsse ein MRT gemacht werden, um zu sehen, ob sich auch anderswo Anzeichen einer Wiederkehr der Leukämie zeigten. Wenn beides ohne nennenswerten Befund bleibe, dann könne man die Geschwulst möglicher Weise auch mit einer Bestrahlung therapieren.

Er willigt ein, die ersten Untersuchungen ambulant zu machen. Ich freue mich darüber und bedanke mich. Allerdings stehe die Klinik wegen Corona unter starkem Personaldruck und ich müsse mich auf lange Wartezeiten einstellen. Ich bin immer noch dankbar. Wochenlange Wartezeiten auf Untersuchungs-Ergebnisse im Klinikbett würde ich jetzt nicht verkraften.

Und auch bei unangenehmen Untersuchungen macht die Medizin Fortschritte. Die starken stechenden Schmerzen beim Knochenmarksentzug bleiben aus. Schon am nächsten Tag sollen die ersten Andeutungen aus den Proben bekannt sein. Wenn’s was Bedeutendes sei, dann würde er mich anrufen. Der Anruf bleibt aus. Nächste Station MRT eine Woche später.

Mittwoch, 20. Juli 2022

Mein neues Abenteuer. Es wird ein Ganzkörper-MRT gemacht, danach treffe ich den untersuchenden Oberarzt.

Die Knochenmarkspunktion war ohne Befund. Das MRT zeige aber „leicht vergrößerte Lymphknoten“ im Leistenbereich. Im Entlassungsprotokoll soll später einmal „pathologisch vergrößert“ stehen, zwischen den beiden Zeitpunkten waren sie „völlig unerheblich“. Dennoch gibt dieser Befund den Ausschlag dafür, dass man eine erneute Chemotherapie für unausweichlich hält. Ich solle mir nunmehr einen Termin für die stationäre Aufnahme besorgen.

Auf der Station geht’s weiter