Eine Übersicht
Ich sag mal so: bei Depression in der Psychologie gibt es rund 500 Varianten.
Alle werden im populären Sachbuch abgehandelt.
Wenn es um die Wirtschaftsordnung geht, kennen alle nur zwei Formen der Depression: Revolutionär Lenin oder Professor Hayek. Beide sind schon lange tot. Und die Welt hat sich weiter gedreht. Doch in der Politik lassen wir uns mit zwei Richtungen aus dem 19. Jahrhundert abspeisen: Verstaatlichung oder Privatisierung. Mehr geht nicht.
Das ist borniert. Die Wirtschaftsordnung könnte sehr viel mehr leisten.
Scheuklappen
Es ist sogar noch schlimmer. Borniert ordnen wir dem Markt das Private zu und dem Staat einen Plan. Und das ist blanker Unsinn. Selbst wenn der Staat alle Produktionsmittel besitzt, kann er es den Betrieben überlassen, was sie herstellen und verkaufen wollen. Dann haben wir eine sozialistische Marktwirtschaft. Und wenn der Kapitalistenstaat einen Krieg erklärt, dann nimmt er Kriegsanleihen auf und steckt alle Ressourcen in das Militär. Das nennen wir eine kapitalistische Planwirtschaft.
Bereits das kommunistische Manifest hat 1848 genauer unterschieden, als es heute üblich ist. Nicht das ganze Kapital solle dem Staat gehören, nur Grund und Boden, Transportwesen und die Lenkung des Kreditwesens. Eine Ironie am Rande: eine kommunistische Forderung hat der sozialdemokratische Staat mit Agenda 2010 eingeführt: Arbeitszwang in einer industriellen Armee. Der gesamten utopischen Komposition aus dem Jahre 1848 entspricht heute am ehesten ein Weltmarktführer, die Volksrepublik China.
Totem Planwirtschaft
Lenin war ein pragmatischer Kommunist. Er fand im Russland des Jahres 1917 eine feudalwirtschaftliche Kriegswirtschaft vor. Also eine Planwirtschaft. Lenin ließ einfach die Wirtschaftsplaner auf die Gesamtwirtschaft los. Die sozialistsiche Planwirtschaft war geboren. Weil es im Frieden nie so richtig funktionierte, gab es immer wieder Reformen. Aber die sozialistische Planwirtschaft wurde zum realsozialistischen Heiligtum erklärt. Das lag daran, dass es der Sowjetunion gelang, einen rückständigen Feudalstaat in ein elektrifiziertes Industrieland zu verwandeln. Weil Stahlindustrie heute nicht mehr alles ist, entwickelte sich daraus eine despotische Oligarchie in Russland.
Anders die Liberalen, die Friedrich August von Hayek folgen. Sie kamen vom Markt und führten zu oligarchischen Despoten wie Mussolini, Salazar oder Franco. Ursprünglich analysierten liberale Denker das mystische Wirken der Märkte. Sie entlockten der „unsichtbaren Hand“ allerlei Geheimnisse, wie die vielen Menschen mit Schachern und Tauschen all ihre materiellen Wünsche am günstigsten erfüllen können. Das Walrasianische Gleichgewicht. Dieses Optimum aller Märkte lässt sich nur erreichen, wenn anfangs alle Menschen dieselben Voraussetzungen haben. Voraussetzung war also die vollkommene soziale Gleichheit. Diese theoretische Voraussetzung war in der Wirklichkeit nie erfüllt. Aber man hatte wenigstens schon mal ein Modell, wie es geht.
Totem Freiheit der Oligarchen
Daran haben dann Liberale wie Friedrich August von Hayek und Vilfredo Pareto soziologisch geraspelt und gefeilt. Nachdem Pareto die rechtslastige Verteilung der Vermögen entdeckte, wandte er sich der Soziologie zu. So fand er allerlei rechtfertigende Theorien dafür, dass die Oberschichten mit all ihrer Macht und Gewalt dafür sorgen dürfen, ihre Privilegien zu behalten. Hayek erhob den Wert der Freiheit weit über den Wert der Demokratie. Die anderen Werte wie Gleichheit und Brüderlichkeit sind für ihn Nebensache. Wir kennen das heute als den kecken, jugendlichen Slogan der 90er: „Deine Armut kotzt mich an.“
Jetzt ist es diesen Denkmodellen allerdings egal, wie ein Mensch in die Oberschicht gelangt. Zum Beispiel in der Westentasche eines Autobosses, der Politiker in der tasche hat. Korruption und Betrug sind wichtige Elemente der Oligarchie, im Westen wie im Osten. Es steht halt jedem frei, diese Oligarchie um Einlass in die Oberschicht zu bitten.
Aus alledem und alledem liegt doch jetzt schon mal auf der Hand: Mit ein wenig weniger Borniertheit ließe sich wirtschaftlich vieles verändern. Dazu müssten allerdings Wirtschaftsprofessor:innen ihren Horizont erweitern. Wie dichtete einst der große Revolutionsapostel Wolf Biermann?
… Was haben wir denn an denen verlorn:
An diesen deutschen Professorn
Die wirklich manches besser wüßten
Wenn sie nicht täglich fressen müßten. … [Quelle]
Die ideologische Brille
Der veengte Blick lässt sich in einer Grafik darstellen:
Der ideologisch verengte Blick reduziert sich auf Markt oder Plan einerseits sowie Privateigentum oder Staatseigentum andererseits. Daraus ergeben sich vier Systemvarianten:
1 Kapitalistische Marktwirtschaft
2 Feudale Planwirtschaft
3 Sozialistsiche Marktwirtschaft
4 Sozialistische Planwirtschaft
Die konkrete Ausgestaltung in der Wirklichkeit wird dann Wirtschaftsordnung genannt. Dabei sollten wir eigentlich erwarten, dass die Ideologie zurückstecken muss, wenn es die Wirklichkeit verlangt. Am Beispiel der überaus erfolgreichen genossenschaftlichen Unternehmensformen können wir erkennen, dass ideologisch Unerwünschtes völlig ausgeblendet wird. Und das geschieht, obwohl die sozial und regional nachhaltigen Wirkungen des Genossenschaftswesens dem Zielkatalog des modernen Denkens entsprechen. Das besprechen wir im nächsten Abschnitt.
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Wirtschaftsordnung II -> Eigentumsformen -> Genossenschaften
Wirtschaftsordnung III -> Koordination der Pläne
Wirtschaftsordnung IV –> Eigentumsformen
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Ein Gedanke zu „Die Wirtschaftsordnung könnte mehr“