Privat, privater, staatlich
Die „aktuellen“ Wirtschaftstheorien entstanden im 19. Jahrhundert. Sie wurden Anfang des 20. Jahrhunderts schicker ausgeformt und gelten bis heute. Damals hatte die Theorie bei „Privateigentum“ einen Mann im Kopf, der industriell tätig wurde. Das war der Kapitalist, dem die Fabrik gehörte. Künstler* zeichneten ihn als dicken Mann mit Zigarre oder als schlanken Zyniker mit Monokel. Dem Adel gehörte noch immer das Land. Das ist heute ganz anders. Heute haben wir meistens anonymes Kapital, deshalb heißen die Aktiengesellschaften in romanischen Sprachen ‚anonyme Gesellschaften‘. Die Aktien gehören nicht dicken alten Männern mit Zigarre, sie können auch Fonds gehören. In diesen Fonds sind Gelder für die spätere Rente angelegt.
Zwitterkapital
Heute bezeichnet das Kapital eine Seite der Bilanz, die Passivseite. Sie erklärt uns, wer die Mittel für das Unternehmen zur Verfügung stellt. Wie viel kommt von den Investor*en der Firma? Das nennen wir Eigenkapital. Wie viel ist von Betriebsfremden als Kredit geliehen? Das nennen wir Fremdkapital. Tja, und auch da gibt es dann noch ein Zwitterkapital, das zwar von Fremden geliehen ist, aber trotzdem zum Eigenkapital gerechnet wird. Solches Zwitterkapital wird auch Mezzanine Finanzierung oder Mischkapital genannt. Wörtlich bedeutet Mezzanine ein Zwischengeschoss beim Hausbau, sozusagen auf „halber Treppe“.
Für Ökons ist das selbstverständlich, für fachfremde Leute sind diese Zusammenhänge deutsche Fremdwörter. Es ist sehr weit verbreitet, immer noch in den Kategorien des 19. Jahrhunderts zu argumentieren. Wer ideologische Absichten hat, versucht, an diesen Missverständnissen festzuhalten. Nur so können Jesuiten und andere Wortspalter* auf ewig Recht behalten.
Zwittergesellschaft
Dieses Privatkapital kann aber auch genossenschaftlich organisiert sein. Allerdings sehen das viele Ideolog*en anders. Danach ist das genossenschaftliche Eigentum minderwertiges Privateigentum. Es gehört denen, die direkt vom Ziel der Genossenschaft profitieren, das sogenannte Identitätsprinzip der Genossenschaft. Obwohl dieses Identitätsprinzip Vorteile hat (Regionalität, Resilienz), wollen liberale Ideolog*en nur Börsenkapital. Noch schlimmer ist es für die neoklassisch denkenden Ideolog*en, wenn die Arbeiter* die Genoss*en sind, also wenn wir es mit einer Produktivgenossenschaft zu tun haben, wie es beim genossenschaftlichen Konzern Mondragón (MCC) der Fall ist.
Zwitterkapital und Zwittergesellschaft sind Freiheiten, die die Wirklichkeit des Wirtschaftens zwar hervorgebracht hat, die von den liberalen Ideolog*en der Freiheit und stalinistischen Ideolog*en des Planens sogar bekämpft werden.
Staatliches Privateigentum?
Wie sieht es nun aus, wenn dem Staat Aktien gehören? In einem solchen Fall sprechen wir von einem Eigenbetrieb des Staates. Sofern irgendwo auf dieser Welt ein Staat selber etwas produziert und diese Produktion in eine Aktiengesellschaft umstellt, ist dies der erste Schritt der Privatisierung. Diese Form nennen wir dann Eigengesellschaft In der jüngeren Geschichte kennen wir das, als Telekom, Post und Bahn privatisiert wurden oder werden sollten. Staatlich bleibt dann das Eigentum am Eigenkapital des Betriebs. In diesem Stadium suchen dann die staatlichen Eigner* nach den besten Formen für die „formale“ Privatisierung.
Die Eigenbetriebe waren bis Mitte des 20. Jahrhunderts die übliche Form des Staatsbetriebs, so auch in der Bundesrepublik. Es gab für die Bundesbahn einen Ausschuss im Bundestag, in dem der Verkehrsminister vorsingen musste, was die Bahn tut. Aber auch Bundesländer, Regierungsbezirke, Kommunen, Landkreise können solche Eigenbetriebe oder Eigengesellschaften besitzen. Auch können sich diese Gebietskörperschaften auch zusammentun, um gemeinsam Eigenbetriebe oder Eigengesellschaften zu betreiben. Bei uns sind alle diese Formen streng reguliert. Sie dürfen dem Privaten keine Konkurrenz machen. Nicht einmal Behindertenwerkstätten dürfen das.
Angeblich war das völlig ineffizient. Deshalb wurde auch die Deutsche Bahn in eine Eigengesellschaft umgewandelt. Seitdem hat sich der Bahnverkehr deutlich verschlechtert. Gleich lautende Erfahrungen waren aus dem Vereinigeten Königreich bereits bekannt. Aber die deutschen Ideologe*en dachten, sie könnten es besser. Der Weg zur Börse machte die Bahn ineffizient. Jetzt bleibt die Bahn im Staatsbesitz. Dennoch wird es eine Weile dauern, bis wir den Begriff des Privatisierungsversagens in unseren Wortschatz aufnehmen dürfen.
Staatliche Sicherheit mit privater Beteiligung
Solche Eigenbetriebe und Eigengesellschaften gab und gibt es auf allen staatlichen Ebenen. Die Städte und Gemeinden haben Stadtwerke oder Gemeindewerke oder Sparkassen, die Länder haben Landesbetriebe. Sie sind manchmal auch im Zeitalter der rücksichtslosen Privatisierungsideologie völlig unverzichtbar. Zum Beispiel benötigen die deutschen Nordsee-Inseln einen zuverlässigen Fährverkehr. Die Reedereien, die diesen Fährverkehr betreiben gehören Menschen und Kommunen auf den Inseln: Wyker Damspfschiff Reederei (W.D.R.) oder die Neue Pellwormer NPDG. Sie sind weder reine Eigengesellschaften der Kommunen, noch rein private Gesellschaften. Ähnlich wie Genossenschaften bleiben sie regional aktiv und versuchen sich nicht, wie die private Konkurrenz, als Global Player, wie zum Beispiel die FRS-Reederei aus Flensburg, immer weiter zu wachsen. Das ist nachhaltig und resilient, also sicherer für die Menschen, die von dem Betrieb abhängig sind.
Ideologische Ineffizienz
Die Neugründung solcher Erfolgsmodelle wird von ideologischer Seite systematisch bekämpft. Auf der Wesermündung bei Bremen gibt es eine Autofähre, die von den beteiligten Kommunen gemeinsam betrieben wird. Sie dient der regionalen wirtschaftlichen Entwicklung der anliegenden Länder und Kommunen. Sie wird jährlich bezuschusst. Es gibt diese Fähre nur, weil es sie schon lange gibt. An der Elbmündung würde eine solche Fähre zwischen Brunsbüttel und Cuxhaven ebenfalls der wirtschalichen Entwicklung dienen. Hier gilt aber der Vorrang der Privatwirtschaft. Es ist unmöglich diese Fähre nach reinen Gewinnkriterien zu betreiben, Gewinne und Subventionen sollen nach ordoliberalen Verständnis nur an Private fließen. Früher nannte man das Korruption. Heute dient es die Freiheit. Diesem Prinzip folgt auch die
Public Private Partnership
Partnerschaft zwischen dem öffentlichen und dem privaten Wirtschaftssektor PPP ist nach dem ideologischen Verständnis nur in einer Form erlaubt: Der Staat beauftragt einen privaten Investor. Anders gesagt: der Staat zahlt, der Investor kassiert. Bevor dieses Prinzip bewusst eingeführt wurde, galt es als ineffizient. Denn nach der Umwandlung einer Staatsaufgabe in eine PPP müssen zusätzlich zu den Kosten auch noch Renditen erwirtschaftet werden. Nur Ideologen behaupteten das Gegenteil. Ihre Legende vom effizienten Privaten und ineffizienten Staatlichen ist inzwischen in vielen Fällen widerlegt. Einige Kommunen müssen ihr verkauftes Eigentum sogar wieder zurückkaufen, dennoch wird die Legende weiter gepflegt. Das liberale Dogma wird zur Lebenslüge.
Die Legende beruht auf der wissenschaftlich unzulässigen Verwechslung von dezentraler Marktkoordination mit privatem Kapitaleigentum. Der öffentliche Teil delegiert seine Aufgabe an einen privaten Monopolisten. Eine Marktkonkurrenz wird in solchen Fällen noch nicht einmal simuliert, wie es bei öffentlichen Ausschreibungen der Fall ist. Statt dessen biedert sich der Staat einem Monopolisten an. Die pure Buddy-Economy.
Spätestens seit der chinesischen Wirtschaftsexpansion sollten alle wissen, dass es eine global erfolgreiche Marktwirtschaft auch unter dem Regime eines beinharten Staatseigentums an Grund und Boden gibt. Alle Börsenkonzerne unterwerfen sich bereitwillig dem chinesischen Eigentumsdiktat. Denn der Staat diktiert den Konzernen, wie sie mit dem Land unter ihren Maschinen umgehen dürfen.
Um das Fass der Eigentumsvielfalt voll zu machen, gibt es auch das neutrale Eigentum, das nicht genossenschaftlich organisierst ist.
Neutrales Eigentum
Neutrales Eigentum wurde in die Theorie der Wirtschaftswissenschaften von Ota Šik eingeführt. Šik war Wirtschaftsminister der CSSR 1968. Nach dem Einmarsch der Sowjetarmee in Prag arbeitete er als Wirtschaftsprofessor in St. Gallen. Als Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus entwickelte er die Idee einer humanen Wirtschaftsdemokratie. Beim neutralen Kapital gehört das Eigenkapital einer Firma der Firma und dient ausschließlich dem Betriebszweck. Die Angehörigen des Betriebs bestimmen, wer die Firma leitet, niemand darf das Kapital aus dem Betrieb rausziehen. Wer das Schritt für Schritt durchdenken möchte, stelle sich eine Aktiengesellschaft vor, die nach und nach alle Aktien der eigenen Gesellschaft aufkauft. Dann gehört die Gesellschaft sich selbst.
In unserer Rechtsordnung entspricht dieses Modell am ehesten dem Stiftungseigentum. Das Vermögen einer öffentlichen Stiftung gehört keiner Person, sondern es gehört der Stiftung, darf nicht ausbezahlt werden und dient ausschließlich dem Zweck der Stiftung. Selten führt eine Stiftung selbst ein Unternehmen. Das ist denkbar, aber völlig unüblich. Üblich ist es, dass einer Stiftung das Kapital einer Firma gehört. Das ähnelt dem Staatseigentum, denn auch beim Staat darf sich niemand das Vermögen selbst unter den Nagel reißen. In vielen Fällen ist es für die Menschen, die in einem solchen Stiftungskonzern arbeiten, einen alltäglichen Unterschied zu Konzernen, die sich ausschließlich an Renditen orientieren.
Umgang mit Rücklagen
Für die Systematik ist auch bedeutend, wie Betriebe mit Rücklagen umgeghen. Rücklagen sind Gewinne, die nicht ausbezahlt werden. Sie werden dann zum Eigenkaiptal hinzugerechnet. Rein privatwirtschaftliche Gesellschaften können Rücklage auflösen und auszahlen. Das ist bei neutralem Kapital, also bei Stiftungen, nicht möglich. Wenn sie in der Firma bleiben, dienen sie dem Unternehmen und seinen Zielen. Werden sie aufgelöst, dienen sie dem Stiftungszweck. Analog dazu würden sie bei Staatseigentum dem Staatszweck dienen also Teil der öffentlichen Debatte.
Fazit
Es gibt folgende Formen produktiven Kapitaleigentums:
- Das Eigenkapital gehört einem oder mehreren Menschen (Privat)
- Das Eigenkapital wird gestückelt an einer Börse gehandelt (Anonym)
- Das Eigenkapital wird unmittelbar vom Staat verwaltet (Eigenbetrieb)
- Das Eigenkapital eines handelsrechtlichen Unternehmens gehört dem Staat (Eigengesellschaft)
- Das Eigenkapital gehört allen Menschen, die vom Unternehmenszweck profitieren (Genossenschaft)
- Das Eigenkapital gehört einem monopolistischen Lizenznehmer des Staates (Public Private Partnership)
- Das Eigenkapital gehört dem Staat und privaten gemeinschaftlich (Tja …)
- Das Eigenkapital dient ausschließlich dem Zweck (neutral, Stiftung)
Es gibt folgende Formen der Verfügungsgewalt über das Eigentum
- Staatliche Regie
- Private Regie
- Anonyme Regie
- Neutrale Regie
UND: Aus der Eigentumsform lässt sich nicht ableiten, wie Ressourcen und Produktion in der Gesellschaft verteilt werden. Aussagen über die Effizienz des Systems auf Grundlage der Eigentumsform sind unzulässig. Zumindest global ist eine Konkurrenz von Staatsgesellschaften denkbar.
Vorige Kapital:
Ein Gedanke zu „Wi-Ord IV Eigentumsformen“