Das dezentrale Verteilungsprinzip
Märkte sind die theoretische Vorstellung, wie Pläne vieler Individuen gesellschaftlich dezentral koordiniert werden können. Jede Person hat einen Beutel mit Geld, das ist das Tauschmittel, das per Gesetz alle akzeptieren müssen, wenn sie tauschen wollen. Für viele Ideolog*en sind diese Märkte die einzige Institution, die für eine effiziente Nutzung der Rohstoffe sorgen kann.
Märkte können nur funktionieren, wenn ein Produkt auch gegen eine Geldsumme getauscht werden kann. Atemluft muss der Mensch atmen, kann sie aber nicht kaufen. Wer frische Luft statt Stadtluft atmen will, muss umziehen oder ausfliegen. Wenn ich eine CD kaufen will, dann bekomme ich sie für Geld. Wenn ich nicht bezahle, bekomme ich sie nicht freiwillig. Hier funktioniert das Prinzip, dass ich durch einen Preis von der Nutzung der CD ausgeschlossen werde. Wenn das Prinzip nicht funktioniert, dann gibt es auch keinen Markt. Es sei denn, wir füllen Atemluft in Flaschen.
Künstliche Märkte erlauben das Verbotene
Neuerdings werden künstliche Märkte geschaffen, auf denen Unternehmen Rechte kaufen können, um die Atemluft zu vergiften. Für diese künstlichen Märkte erlässt der Staat ein Gesetz, bevor sie entstehen. Aus einem Verbot, die Luft zu verdrecken, wird die Erlaubnis, Luft zu verdrecken. Ebenso wie Steuern oder Zölle, sind solche künstlichen Märkte sehr anfällig für Korruption. Es sind Märkte, die von einer zentralen Instanz geschaffen und kontrolliert werden.
Dieses Beispiel zeigt, wie tief der Marktglaube sitzt: Ein Verbot reicht nicht aus, statt dessen wird ein Markt eingerichtet. Das Produkt auf diesem Markt erlaubt, was die Gesellschaft eigentlich verbieten möchte. Gleichzeitig macht dieses Beispiel deutlich, wer mit der Ideologie des Marktes bevorzugt wird: Jede, die es sich leisten kann, Dreck zu machen. Mehr noch: Wer kann jetzt noch kontrollieren, ob der Dreck aus dem Schlot legal oder illegal ist? Das können nur noch die Experts an den Börsen für Dreckablass-Zettel. Sie sind aber keine Experts für Dreck. Die für funktionierende Märkte erforderliche Transparenz ist vorsätzlich abgeschafft.
Märkte haben zwei Parteien, die sich gegenüber stehen. Die einen haben die gehandelte Ware, die anderen benötigen sie – Angebot und Nachfrage. Die Machtverhältnisse sind in den meisten Fällen unsymmetrisch.
Märchen, Legenden, Narrative
Ideolog*en haben den Märkten eine mystische Kraft angedichtet. Das Narrativ der gesellschaftlichen Effizienz der marktwirtschaftlichen Koordination hält sich hartnäckig. Dabei handelt es sich um das sogenannte Pareto-Optimum, nach dem in der Gesellschaft kein Individuum besser gestellt werden kann, ohne das ein anderes Individuum schlechter gestellt wird. Damit das möglich wäre, müssten allerdings alle einzelnen Mitglieder der Gesellschaft beim Start mit denselben Mitteln ausgestattet sein. Das ist also rein hypothetisch, es stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein.
Jetzt dürfen wir aber Herrn Pareto nicht Unrecht tun. Er hat lediglich abstrakt theoretisch beschrieben, wie eine effiziente und optimale Nutzung der Ressourcen auszusehen hätte. Er hat nicht behauptet, dass in unserer Gesellschaft alle Mittel gleich verteilt sind und alle Menschen dieselben Voraussetzungen haben. Diese Voraussetzungen zu schaffen, wäre Aufgabe einer gerechten Politik. Eine solche Politik kann Theorie aber nicht erreichen. Die Frage nach der Effizienz von Märkten werden wir in einem späteren Abschnitt beleuchten.
Das strukturelle Defizit des Marktes
Der abstrakte Markt an sich hat erhebliche Defizite. Eines davon ist ein strukturelles Defizit. Alle theoretischen Überlegungen des 19. Jahrhunderts haben eine systematische Macke. Sie beschreiben nur den Tausch von Gütern untereinander. Es gibt für die gesamte Gesellschaft keinen allgemeinen Maßstab für den Wert von Gütern.
Ein Beispiel: Wenn wir in einer Gesellschaft nur Äpfel, Birnen und Arbeit tauschen können, genügen nur zwei relative Preise, um den dritten zu berechnen. Kostet eine Stunde Arbeit sechs Kilo Äpfel, und eine Stunde Arbeit fünf Kilo Birnen, dann tauschen wir für zehn Kilo Birnen zwölf Kilo Äpfel. Das wären die konkreten relativen Preise. Sie wären dann im Sinne des Modells logische Preise.
Aus dem Dilemma hat sich im Laufe der Jahrhunderte ein neutrales Produkt entwickelt: Geld. Aber Geld als Gegenstand betrachtet hat keinen Nutzen als Gegenstand. Trotzdem können und müssen wir damit in den Theorien arbeiten, denn es ist sehr praktisch: Mit Hilfe des Geldes können wir plötzlich Äpfel und Birnen addieren. Sobald wir Geld in diesem Denkmodell zulassen, werden wir sehen, dass alle Menschen bereit sind, „unlogische“ Preise zu zahlen.
Marxistische Theoretiker haben versucht, mit dem Wert der Arbeit zu arbeiten. Dahinter steckt die Idee, dass auch in Maschinen irgendwann einmal Arbeit reingesteckt wurde. Und um aus dem Boden neue Werte zu schaffen, müssen Menschen dafür arbeiten. Theoretisch knackst aber auch dieser Denkansatz, das hat der Marxist Paul Sweezy beschrieben.
Zwei Seiten
Der Markt hat zwei Seiten: Angebot und Nachfrage. Theoretisch könnten beide Seiten eines Marktes gleiche Chancen haben. Wenn auf einem idealen Markt viele Produzenten Waren anbieten, die viele Leute kaufen wollen. Das ist aber nur sehr selten der Fall. Und dann träumen die theoretischen Ökonom*en (Ökons) immer davon, dass es an solchen Märkten zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage kommt, so dass nichts mehr übrig bleibt. Kein Kilo Angebot und auch kein Kilo Nachfrage. Dies lieben die Ökons und nennen es Gleichgewicht. Damit haben wir schon zwei Fälle von Märkten, die nicht mehr effizient sein können:
– Märkte, auf denen kein Gleichgewicht herrscht;
– Märkte mit ungleicher Machtverteilung.
Wenn die Macht auf den Märkten ungleich verteilt ist, dann sind sie plötzlich nicht mehr effizient. Wenn ich der einzige Anbieter oder Nachfrager bin, dann habe ich ein Monopol. Ein solches Monopol nützt mir nichts, wenn ich bei e-bay als einziger ein Buch anbiete, das niemand lesen möchte. Entscheidend ist, ob ein Angebot oder eine Nachfrage in irgendeiner Form mächtig macht. Für die gesellschaftliche Beurteilung, ob Märkte funktionieren oder nicht, gibt es viele verschiedene theoretische und empirische Analysen.
Systematische Schieflage: Arbeitsmärkte
Besonders deutlich können wir das an den Arbeitsmärkten sehen. Wer arm ist, muss Arbeit annehmen, die nicht mehr für Wohnen und Essen reicht. Solche Personen akzeptieren unlogische Preise, weil sie keine Macht haben oder getäuscht werden. Firmen, die sich auf Menschenhandel spezialisiert haben, sorgen dauerhaft für neue solche Arbeitskräfte. Wer sehr seltene Qualifikationen erreicht hat, wie zum Beispiel IT-Fachkraft für Wirtschaftsprüfung in der Finanzbranche, sind so teuer, dass sie nach wenigen Berufsjahren ausgesorgt haben. Verleihfirmen für Hochqualifizierte sorgen dafür, dass die Preise hoch bleiben, weil sie gerne Wirtschaftsprüfungen vermeiden möchten.
Die abstrakte Theorie baut aber darauf auf, das Märkte ins Gleichgewicht kommen, sich also Angebot und Nachfrage ausgleichen können. Das wird auf den als Beispiel genannten Märkten nie passieren. Der strukturell knappe Markt für IT-Leute wird strukturell knapp bleiben. Die Finanzbranche wächst, also wächst auch der Schaden an den Finanzmärkten, egal ob bei Kryptowährungen oder bei Korruption an den Börsen. Andererseits ist der weltweite Nachschub an Sklaven für körperlich anstrengende Ernte-Arbeit dauerhaft gesichert.
Korrektiv: Bilaterales Monopol
Mitte des 20. Jahrhunderts setzte sich die Meinung durch, dass ein bilaterales Monopol für einen Ausgleich der Macht an den Arbeitsmärkten sorgen kann. Das ist ein Markt mit einem Monopol des Angebots an Arbeit und einem Monopol auf der Nachfrageseite. Die beiden Parteien, die sich gegenüber standen, waren die Verbände der Arbeitnehmer* (Angebot) und Arbeitgeber* (Nachfrage). Sie verhandelten die Preise für einen längeren Zeitraum. Am besten funktioniert ein solches bilaterales Monopol, wenn seine Verhandlungsergebnisse allgemein als verbindlich angesehen werden.
Dieses Regime wurde von vielen Regierungen aber aus ideologischen Gründen systematisch gestört, in einigen Gegenden sogar wieder vollständig vernichtet. Es war die neoliberale Forderung nach ‚De-Regulierung‘, es sollte weniger Regeln geben. In der Folge haben zum Beispiel in Deutschland mehrere hundert Tausend Fachkräfte der Kranken- und Altenpflege den Arbeitsmarkt verlassen und sind ins Ausland oder in andere Branchen abgewandert. Der Markt reagiert jetzt nicht mehr, wie es sich die Markttheorie denkt. Niemand zahlt freiwillig mehr Geld für Pflegekräfte, statt dessen verlangen die Unternehmen staatliche Interventionen.
Korrektiv: Staatliches Monopol
Wir handeln unsere Produkte grundsätzlich mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel, also Geld. Hier hat sich in den vergangenen hundert Jahren die Idee des kommunistischen Manifests etabliert: das staatliche Währungsmonopol. Zunächst bestand die Vorstellung, dass der Wert der Währung an ein beständig beliebtes Produkt gekoppelt sein muss. Das war das Gold. Die Menschen ließen sich überzeugen: Im Fort Knox liegen so viele Goldbarren im Speicher wie bei Dagobert Duck, darum können wir dem Geld vertrauen. Seitdem sind wir Neuzeitlichen Schritt für Schritt vom Gold abgerückt und vertrauen dem staatlichen Monopol.
Dieses staatliche Monopol ist gesellschaftspolitisch klug ausgetüftelt. Es sind Expert*en für Geld in den entscheidenden Gremien, die wiederum von einem Rat aus Expert*en der unteren Ebene kontrolliert wird. Es ist also eine Expert*en-Elite, die hier steuert und lenkt. Das kommunistische Modell ist so erfolgreich, dass es nicht nur in vielen Nationen genutzt wird, sondern auch für eine internationale Währung, für den Euro, genutzt wird. Hier einigen sich Zentralbankbosse aus allen Euroländern auf eine wissenschaftlich begründete Strategie.
Wie sollen wir ein solches staatliches Monopol einordnen: zentralistisch oder dezentral? Alle Entscheidungsebenen, von der Zentrale über die Nationalstaaten bis in die Regionen, werden bei der Euro-Zentralbank eingebunden. Wie in herrschaftsfreien Systemen angestrebt, strebt die Entscheidungsebene den größtmöglichen Konsens an. Kaum jemand wird bestreiten, dass dieses Modell für eine zuverlässige und stabile Währung sorgt, die unabhängig von momentanen Meinungsblasen einen der kompliziertesten Märkte regelt. Und kaum jemand beschwert sich über ein erpresserisches Regiment des Staates.
Kaum jemand. Denn die gnadenlosen Jünger:innen des Friedrich August von Hayek wünschen sich eine Konkurrenz von Währungen. Dann würden DeutschebankEuros mit BNPParisbasEuros konkurrieren . Nach einige Pleiten verschiedener Kryptowährungen ist es um diese Idee gerade sehr leise geworden.
Die Börsenkrankheit
Wenn wir diesen zentral gesteuerten Geldmarkt nicht hätten, würde unsere gesellschaftliche Versorgung mit Geld an der Börsenkrankheit leiden. Die meisten globalen Finanzprodukte sind Börsen unterstellt. Sie sind zentrale Einrichtungen, die die Rahmenbedingungen ihres Handels streng kontrollieren. Die Rahmenbedingungen orientieren sich an den Beschreibungen des idealen neoklassischen Marktes . Finanzprodukte sind allerdings immer Spekulationen auf die Zukunft. Egal ob die Wertpapiere nun Anteile an einem Unternehmen, Handelswechsel oder Anleihen, also Kredite, sind, sie sind immer eine Spekulation darauf, dass das Geld auch wieder an den Investor zurückfließt. Vielleicht mit Gewinn, vielleicht mit Verlust.
Und nun kommt das übliche menschliche Verhalten zum Zuge: Wir sind Schwarmfische. Im Schwarm fühlen wir uns sicherer und schwimmen mit im Strom. Wenn jetzt zehn von uns auf ein Investment setzen, kommen hundert andere Schwärmer* hinzu. Es bilden sich Blasen. Und Blasen platzen. Die Börse crasht (Börsenkrach), der Handel bricht dann teilweise oder komplett zusammen. Rien ne va plus, nichts geht mehr. Das kann sich auf das gesamte Wirtschaftsgeschehen auswirken und sogar weltweite Wirtschaftskrisen auslösen.
Märkte lassen sich nicht vermeiden
Allen Widrigkeiten zum Trotz haben alle Experimente in der Wirtschaftsgeschichte gezeigt: Märkte lassen sich nicht vermeiden. Es gibt bei uns im Land Kommunen, die intern alles Hab und Gut frei nach den Bedürfnissen ihrer Mitglieder verteilen. Getreu dem Motto: ein Mensch kann ja nicht mehr als essen. Das funktioniert. Allerdings nehmen diese Kommunen als Gruppe an den Märkten ihrer Umwelt teil, sie kaufen und verkaufen, sprich: tauschen mit Menschen außerhalb der Kommunen. Das ist überall so von Sde Boker bis Niederkaufungen.
Bei aller zentral geplanten Produktion im Sozialismus der Sowjetunion, gab es außerhalb der geplanten Güterverteilung auch Märkte aller Art. Märkte entstehen einfach. Und meistens ist es den Menschen egal, ob das legal oder illegal ist. Im Laufe der Zeit nahm auch die sozialistsiche Planwirtschaft das Entstehen solcher Märkte wahr und gestaltete sie.
Fazit:
Märkte müssen reguliert werden, sonst leidet die gesamte Wirtschaft an ihren Mängeln. Die Vermutung, dass Märkte wie von selbst alles wirtschaftliche Geschehen zu einem gesellschaftlichen Ideal führen, ist ein Märchen, anders ausgedrückt: ein verschwörungstheoretisches Narrativ oder eine ideologische Legende. Andererseits können auch staatliche Mechanismen dezentral organisiert und mit fachlicher Kompetenz ausgestaltet werden, wie zum Beispiel die nationale oder supranationale Währungen Pfund, Euro oder Dollar.
Ein Gedanke zu „Wi-Ord V – Märkte“