Archiv der Kategorie: Wirtschaftsordnung

Wi-Ord V – Märkte

Das dezentrale Verteilungsprinzip

Märkte sind die theoretische Vorstellung, wie Pläne vieler Individuen gesellschaftlich dezentral koordiniert werden können. Jede Person hat einen Beutel mit Geld, das ist das Tauschmittel, das per Gesetz alle akzeptieren müssen, wenn sie tauschen wollen. Für viele Ideolog*en sind diese Märkte die einzige Institution, die für eine effiziente Nutzung der Rohstoffe sorgen kann.

Märkte können nur funktionieren, wenn ein Produkt auch gegen eine Geldsumme getauscht werden kann. Atemluft muss der Mensch atmen, kann sie aber nicht kaufen. Wer frische Luft statt Stadtluft atmen will, muss umziehen oder ausfliegen. Wenn ich eine CD kaufen will, dann bekomme ich sie für Geld. Wenn ich nicht bezahle, bekomme ich sie nicht freiwillig. Hier funktioniert das Prinzip, dass ich durch einen Preis von der Nutzung der CD ausgeschlossen werde. Wenn das Prinzip nicht funktioniert, dann gibt es auch keinen Markt. Es sei denn, wir füllen Atemluft in Flaschen.

Künstliche Märkte erlauben das Verbotene

Neuerdings werden künstliche Märkte geschaffen, auf denen Unternehmen Rechte kaufen können, um die Atemluft zu vergiften. Für diese künstlichen Märkte erlässt der Staat ein Gesetz, bevor sie entstehen. Aus einem Verbot, die Luft zu verdrecken, wird die Erlaubnis, Luft zu verdrecken. Ebenso wie Steuern oder Zölle, sind solche künstlichen Märkte sehr anfällig für Korruption. Es sind Märkte, die von einer zentralen Instanz geschaffen und kontrolliert werden.

Dieses Beispiel zeigt, wie tief der Marktglaube sitzt: Ein Verbot reicht nicht aus, statt dessen wird ein Markt eingerichtet. Das Produkt auf diesem Markt erlaubt, was die Gesellschaft eigentlich verbieten möchte. Gleichzeitig macht dieses Beispiel deutlich, wer mit der Ideologie des Marktes bevorzugt wird: Jede, die es sich leisten kann, Dreck zu machen. Mehr noch: Wer kann jetzt noch kontrollieren, ob der Dreck aus dem Schlot legal oder illegal ist? Das können nur noch die Experts an den Börsen für Dreckablass-Zettel. Sie sind aber keine Experts für Dreck. Die für funktionierende Märkte erforderliche Transparenz ist vorsätzlich abgeschafft.

Märkte haben zwei Parteien, die sich gegenüber stehen. Die einen haben die gehandelte Ware, die anderen benötigen sie – Angebot und Nachfrage. Die Machtverhältnisse sind in den meisten Fällen unsymmetrisch.

Märchen, Legenden, Narrative

Ideolog*en haben den Märkten eine mystische Kraft angedichtet. Das Narrativ der gesellschaftlichen Effizienz der marktwirtschaftlichen Koordination hält sich hartnäckig. Dabei handelt es sich um das sogenannte Pareto-Optimum, nach dem in der Gesellschaft kein Individuum besser gestellt werden kann, ohne das ein anderes Individuum schlechter gestellt wird. Damit das möglich wäre, müssten allerdings alle einzelnen Mitglieder der Gesellschaft beim Start mit denselben Mitteln ausgestattet sein. Das ist also rein hypothetisch, es stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein.

Jetzt dürfen wir aber Herrn Pareto nicht Unrecht tun. Er hat lediglich abstrakt theoretisch beschrieben, wie eine effiziente und optimale Nutzung der Ressourcen auszusehen hätte. Er hat nicht behauptet, dass in unserer Gesellschaft alle Mittel gleich verteilt sind und alle Menschen dieselben Voraussetzungen haben. Diese Voraussetzungen zu schaffen, wäre Aufgabe einer gerechten Politik. Eine solche Politik kann Theorie aber nicht erreichen. Die Frage nach der Effizienz von Märkten werden wir in einem späteren Abschnitt beleuchten.

Das strukturelle Defizit des Marktes

Der abstrakte Markt an sich hat erhebliche Defizite. Eines davon ist ein strukturelles Defizit. Alle theoretischen Überlegungen des 19. Jahrhunderts haben eine systematische Macke. Sie beschreiben nur den Tausch von Gütern untereinander. Es gibt für die gesamte Gesellschaft keinen allgemeinen Maßstab für den Wert von Gütern.

Ein Beispiel: Wenn wir in einer Gesellschaft nur Äpfel, Birnen und Arbeit tauschen können, genügen nur zwei relative Preise, um den dritten zu berechnen. Kostet eine Stunde Arbeit sechs Kilo Äpfel, und eine Stunde Arbeit fünf Kilo Birnen, dann tauschen wir für zehn Kilo Birnen zwölf Kilo Äpfel. Das wären die konkreten relativen Preise. Sie wären dann im Sinne des Modells logische Preise.

Aus dem Dilemma hat sich im Laufe der Jahrhunderte ein neutrales Produkt entwickelt: Geld. Aber Geld als Gegenstand betrachtet hat keinen Nutzen als Gegenstand. Trotzdem können und müssen wir damit in den Theorien arbeiten, denn es ist sehr praktisch: Mit Hilfe des Geldes können wir plötzlich Äpfel und Birnen addieren. Sobald wir Geld in diesem Denkmodell zulassen, werden wir sehen, dass alle Menschen bereit sind, „unlogische“ Preise zu zahlen.

Marxistische Theoretiker haben versucht, mit dem Wert der Arbeit zu arbeiten. Dahinter steckt die Idee, dass auch in Maschinen irgendwann einmal Arbeit reingesteckt wurde. Und um aus dem Boden neue Werte zu schaffen, müssen Menschen dafür arbeiten. Theoretisch knackst aber auch dieser Denkansatz, das hat der Marxist Paul Sweezy beschrieben.

Zwei Seiten

Der Markt hat zwei Seiten: Angebot und Nachfrage. Theoretisch könnten beide Seiten eines Marktes gleiche Chancen haben. Wenn auf einem idealen Markt viele Produzenten Waren anbieten, die viele Leute kaufen wollen. Das ist aber nur sehr selten der Fall. Und dann träumen die theoretischen Ökonom*en (Ökons) immer davon, dass es an solchen Märkten zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage kommt, so dass nichts mehr übrig bleibt. Kein Kilo Angebot und auch kein Kilo Nachfrage. Dies lieben die Ökons und nennen es Gleichgewicht. Damit haben wir schon zwei Fälle von Märkten, die nicht mehr effizient sein können:
– Märkte, auf denen kein Gleichgewicht herrscht;
– Märkte mit ungleicher Machtverteilung.

Wenn die Macht auf den Märkten ungleich verteilt ist, dann sind sie plötzlich nicht mehr effizient. Wenn ich der einzige Anbieter oder Nachfrager bin, dann habe ich ein Monopol. Ein solches Monopol nützt mir nichts, wenn ich bei e-bay als einziger ein Buch anbiete, das niemand lesen möchte. Entscheidend ist, ob ein Angebot oder eine Nachfrage in irgendeiner Form mächtig macht. Für die gesellschaftliche Beurteilung, ob Märkte funktionieren oder nicht, gibt es viele verschiedene theoretische und empirische Analysen.

Systematische Schieflage: Arbeitsmärkte

Besonders deutlich können wir das an den Arbeitsmärkten sehen. Wer arm ist, muss Arbeit annehmen, die nicht mehr für Wohnen und Essen reicht. Solche Personen akzeptieren unlogische Preise, weil sie keine Macht haben oder getäuscht werden. Firmen, die sich auf Menschenhandel spezialisiert haben, sorgen dauerhaft für neue solche Arbeitskräfte. Wer sehr seltene Qualifikationen erreicht hat, wie zum Beispiel IT-Fachkraft für Wirtschaftsprüfung in der Finanzbranche, sind so teuer, dass sie nach wenigen Berufsjahren ausgesorgt haben. Verleihfirmen für Hochqualifizierte sorgen dafür, dass die Preise hoch bleiben, weil sie gerne Wirtschaftsprüfungen vermeiden möchten.

Die abstrakte Theorie baut aber darauf auf, das Märkte ins Gleichgewicht kommen, sich also Angebot und Nachfrage ausgleichen können. Das wird auf den als Beispiel genannten Märkten nie passieren. Der strukturell knappe Markt für IT-Leute wird strukturell knapp bleiben. Die Finanzbranche wächst, also wächst auch der Schaden an den Finanzmärkten, egal ob bei Kryptowährungen oder bei Korruption an den Börsen. Andererseits ist der weltweite Nachschub an Sklaven für körperlich anstrengende Ernte-Arbeit dauerhaft gesichert.

Korrektiv: Bilaterales Monopol

Mitte des 20. Jahrhunderts setzte sich die Meinung durch, dass ein bilaterales Monopol für einen Ausgleich der Macht an den Arbeitsmärkten sorgen kann. Das ist ein Markt mit einem Monopol des Angebots an Arbeit und einem Monopol auf der Nachfrageseite. Die beiden Parteien, die sich gegenüber standen, waren die Verbände der Arbeitnehmer* (Angebot) und Arbeitgeber* (Nachfrage). Sie verhandelten die Preise für einen längeren Zeitraum. Am besten funktioniert ein solches bilaterales Monopol, wenn seine Verhandlungsergebnisse allgemein als verbindlich angesehen werden.

Dieses Regime wurde von vielen Regierungen aber aus ideologischen Gründen systematisch gestört, in einigen Gegenden sogar wieder vollständig vernichtet. Es war die neoliberale Forderung nach ‚De-Regulierung‘, es sollte weniger Regeln geben. In der Folge haben zum Beispiel in Deutschland mehrere hundert Tausend Fachkräfte der Kranken- und Altenpflege den Arbeitsmarkt verlassen und sind ins Ausland oder in andere Branchen abgewandert. Der Markt reagiert jetzt nicht mehr, wie es sich die Markttheorie denkt. Niemand zahlt freiwillig mehr Geld für Pflegekräfte, statt dessen verlangen die Unternehmen staatliche Interventionen.

Korrektiv: Staatliches Monopol

Wir handeln unsere Produkte grundsätzlich mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel, also Geld. Hier hat sich in den vergangenen hundert Jahren die Idee des kommunistischen Manifests etabliert: das staatliche Währungsmonopol. Zunächst bestand die Vorstellung, dass der Wert der Währung an ein beständig beliebtes Produkt gekoppelt sein muss. Das war das Gold. Die Menschen ließen sich überzeugen: Im Fort Knox liegen so viele Goldbarren im Speicher wie bei Dagobert Duck, darum können wir dem Geld vertrauen. Seitdem sind wir Neuzeitlichen Schritt für Schritt vom Gold abgerückt und vertrauen dem staatlichen Monopol.

Dieses staatliche Monopol ist gesellschaftspolitisch klug ausgetüftelt. Es sind Expert*en für Geld in den entscheidenden Gremien, die wiederum von einem Rat aus Expert*en der unteren Ebene kontrolliert wird. Es ist also eine Expert*en-Elite, die hier steuert und lenkt. Das kommunistische Modell ist so erfolgreich, dass es nicht nur in vielen Nationen genutzt wird, sondern auch für eine internationale Währung, für den Euro, genutzt wird. Hier einigen sich Zentralbankbosse aus allen Euroländern auf eine wissenschaftlich begründete Strategie.

Wie sollen wir ein solches staatliches Monopol einordnen: zentralistisch oder dezentral? Alle Entscheidungsebenen, von der Zentrale über die Nationalstaaten bis in die Regionen, werden bei der Euro-Zentralbank eingebunden. Wie in herrschaftsfreien Systemen angestrebt, strebt die Entscheidungsebene den größtmöglichen Konsens an. Kaum jemand wird bestreiten, dass dieses Modell für eine zuverlässige und stabile Währung sorgt, die unabhängig von momentanen Meinungsblasen einen der kompliziertesten Märkte regelt. Und kaum jemand beschwert sich über ein erpresserisches Regiment des Staates.

Kaum jemand. Denn die gnadenlosen Jünger:innen des Friedrich August von Hayek wünschen sich eine Konkurrenz von Währungen. Dann würden DeutschebankEuros mit BNPParisbasEuros konkurrieren . Nach einige Pleiten verschiedener Kryptowährungen ist es um diese Idee gerade sehr leise geworden.

Die Börsenkrankheit

Wenn wir diesen zentral gesteuerten Geldmarkt nicht hätten, würde unsere gesellschaftliche Versorgung mit Geld an der Börsenkrankheit leiden. Die meisten globalen Finanzprodukte sind Börsen unterstellt. Sie sind zentrale Einrichtungen, die die Rahmenbedingungen ihres Handels streng kontrollieren. Die Rahmenbedingungen orientieren sich an den Beschreibungen des idealen neoklassischen Marktes . Finanzprodukte sind allerdings immer Spekulationen auf die Zukunft. Egal ob die Wertpapiere nun Anteile an einem Unternehmen, Handelswechsel oder Anleihen, also Kredite, sind, sie sind immer eine Spekulation darauf, dass das Geld auch wieder an den Investor zurückfließt. Vielleicht mit Gewinn, vielleicht mit Verlust.

Und nun kommt das übliche menschliche Verhalten zum Zuge: Wir sind Schwarmfische. Im Schwarm fühlen wir uns sicherer und schwimmen mit im Strom. Wenn jetzt zehn von uns auf ein Investment setzen, kommen hundert andere Schwärmer* hinzu. Es bilden sich Blasen. Und Blasen platzen. Die Börse crasht (Börsenkrach), der Handel bricht dann teilweise oder komplett zusammen. Rien ne va plus, nichts geht mehr. Das kann sich auf das gesamte Wirtschaftsgeschehen auswirken und sogar weltweite Wirtschaftskrisen auslösen.

Märkte lassen sich nicht vermeiden

Allen Widrigkeiten zum Trotz haben alle Experimente in der Wirtschaftsgeschichte gezeigt: Märkte lassen sich nicht vermeiden. Es gibt bei uns im Land Kommunen, die intern alles Hab und Gut frei nach den Bedürfnissen ihrer Mitglieder verteilen. Getreu dem Motto: ein Mensch kann ja nicht mehr als essen. Das funktioniert. Allerdings nehmen diese Kommunen als Gruppe an den Märkten ihrer Umwelt teil, sie kaufen und verkaufen, sprich: tauschen mit Menschen außerhalb der Kommunen. Das ist überall so von Sde Boker bis Niederkaufungen.

Bei aller zentral geplanten Produktion im Sozialismus der Sowjetunion, gab es außerhalb der geplanten Güterverteilung auch Märkte aller Art. Märkte entstehen einfach. Und meistens ist es den Menschen egal, ob das legal oder illegal ist. Im Laufe der Zeit nahm auch die sozialistsiche Planwirtschaft das Entstehen solcher Märkte wahr und gestaltete sie.

Fazit:

Märkte müssen reguliert werden, sonst leidet die gesamte Wirtschaft an ihren Mängeln. Die Vermutung, dass Märkte wie von selbst alles wirtschaftliche Geschehen zu einem gesellschaftlichen Ideal führen, ist ein Märchen, anders ausgedrückt: ein verschwörungstheoretisches Narrativ oder eine ideologische Legende. Andererseits können auch staatliche Mechanismen dezentral organisiert und mit fachlicher Kompetenz ausgestaltet werden, wie zum Beispiel die nationale oder supranationale Währungen Pfund, Euro oder Dollar.

Wi-Ord IV Eigentumsformen

Privat, privater, staatlich

Die „aktuellen“ Wirtschaftstheorien entstanden im 19. Jahrhundert. Sie wurden Anfang des 20. Jahrhunderts schicker ausgeformt und gelten bis heute. Damals hatte die Theorie bei „Privateigentum“ einen Mann im Kopf, der industriell tätig wurde. Das war der Kapitalist, dem die Fabrik gehörte. Künstler* zeichneten ihn als dicken Mann mit Zigarre oder als schlanken Zyniker mit Monokel. Dem Adel gehörte noch immer das Land. Das ist heute ganz anders. Heute haben wir meistens anonymes Kapital, deshalb heißen die Aktiengesellschaften in romanischen Sprachen ‚anonyme Gesellschaften‘. Die Aktien gehören nicht dicken alten Männern mit Zigarre, sie können auch Fonds gehören. In diesen Fonds sind Gelder für die spätere Rente angelegt.

Zwitterkapital

Heute bezeichnet das Kapital eine Seite der Bilanz, die Passivseite. Sie erklärt uns, wer die Mittel für das Unternehmen zur Verfügung stellt. Wie viel kommt von den Investor*en der Firma? Das nennen wir Eigenkapital. Wie viel ist von Betriebsfremden als Kredit geliehen? Das nennen wir Fremdkapital. Tja, und auch da gibt es dann noch ein Zwitterkapital, das zwar von Fremden geliehen ist, aber trotzdem zum Eigenkapital gerechnet wird. Solches Zwitterkapital wird auch Mezzanine Finanzierung oder Mischkapital genannt. Wörtlich bedeutet Mezzanine ein Zwischengeschoss beim Hausbau, sozusagen auf „halber Treppe“.

Für Ökons ist das selbstverständlich, für fachfremde Leute sind diese Zusammenhänge deutsche Fremdwörter. Es ist sehr weit verbreitet, immer noch in den Kategorien des 19. Jahrhunderts zu argumentieren. Wer ideologische Absichten hat, versucht, an diesen Missverständnissen festzuhalten. Nur so können Jesuiten und andere Wortspalter* auf ewig Recht behalten.

Zwittergesellschaft

Dieses Privatkapital kann aber auch genossenschaftlich organisiert sein. Allerdings sehen das viele Ideolog*en anders. Danach ist das genossenschaftliche Eigentum minderwertiges Privateigentum. Es gehört denen, die direkt vom Ziel der Genossenschaft profitieren, das sogenannte Identitätsprinzip der Genossenschaft. Obwohl dieses Identitätsprinzip Vorteile hat (Regionalität, Resilienz), wollen liberale Ideolog*en nur Börsenkapital. Noch schlimmer ist es für die neoklassisch denkenden Ideolog*en, wenn die Arbeiter* die Genoss*en sind, also wenn wir es mit einer Produktivgenossenschaft zu tun haben, wie es beim genossenschaftlichen Konzern Mondragón (MCC) der Fall ist.

Zwitterkapital und Zwittergesellschaft sind Freiheiten, die die Wirklichkeit des Wirtschaftens zwar hervorgebracht hat, die von den liberalen Ideolog*en der Freiheit und stalinistischen Ideolog*en des Planens sogar bekämpft werden.

Staatliches Privateigentum?

Wie sieht es nun aus, wenn dem Staat Aktien gehören? In einem solchen Fall sprechen wir von einem Eigenbetrieb des Staates. Sofern irgendwo auf dieser Welt ein Staat selber etwas produziert und diese Produktion in eine Aktiengesellschaft umstellt, ist dies der erste Schritt der Privatisierung. Diese Form nennen wir dann Eigengesellschaft In der jüngeren Geschichte kennen wir das, als Telekom, Post und Bahn privatisiert wurden oder werden sollten. Staatlich bleibt dann das Eigentum am Eigenkapital des Betriebs. In diesem Stadium suchen dann die staatlichen Eigner* nach den besten Formen für die „formale“ Privatisierung.

Die Eigenbetriebe waren bis Mitte des 20. Jahrhunderts die übliche Form des Staatsbetriebs, so auch in der Bundesrepublik. Es gab für die Bundesbahn einen Ausschuss im Bundestag, in dem der Verkehrsminister vorsingen musste, was die Bahn tut. Aber auch Bundesländer, Regierungsbezirke, Kommunen, Landkreise können solche Eigenbetriebe oder Eigengesellschaften besitzen. Auch können sich diese Gebietskörperschaften auch zusammentun, um gemeinsam Eigenbetriebe oder Eigengesellschaften zu betreiben. Bei uns sind alle diese Formen streng reguliert. Sie dürfen dem Privaten keine Konkurrenz machen. Nicht einmal Behindertenwerkstätten dürfen das.

Angeblich war das völlig ineffizient. Deshalb wurde auch die Deutsche Bahn in eine Eigengesellschaft umgewandelt. Seitdem hat sich der Bahnverkehr deutlich verschlechtert. Gleich lautende Erfahrungen waren aus dem Vereinigeten Königreich bereits bekannt. Aber die deutschen Ideologe*en dachten, sie könnten es besser. Der Weg zur Börse machte die Bahn ineffizient. Jetzt bleibt die Bahn im Staatsbesitz. Dennoch wird es eine Weile dauern, bis wir den Begriff des Privatisierungsversagens in unseren Wortschatz aufnehmen dürfen.

Staatliche Sicherheit mit privater Beteiligung

Solche Eigenbetriebe und Eigengesellschaften gab und gibt es auf allen staatlichen Ebenen. Die Städte und Gemeinden haben Stadtwerke oder Gemeindewerke oder Sparkassen, die Länder haben Landesbetriebe. Sie sind manchmal auch im Zeitalter der rücksichtslosen Privatisierungsideologie völlig unverzichtbar. Zum Beispiel benötigen die deutschen Nordsee-Inseln einen zuverlässigen Fährverkehr. Die Reedereien, die diesen Fährverkehr betreiben gehören Menschen und Kommunen auf den Inseln: Wyker Damspfschiff Reederei (W.D.R.) oder die Neue Pellwormer NPDG. Sie sind weder reine Eigengesellschaften der Kommunen, noch rein private Gesellschaften. Ähnlich wie Genossenschaften bleiben sie regional aktiv und versuchen sich nicht, wie die private Konkurrenz, als Global Player, wie zum Beispiel die FRS-Reederei aus Flensburg, immer weiter zu wachsen. Das ist nachhaltig und resilient, also sicherer für die Menschen, die von dem Betrieb abhängig sind.

Ideologische Ineffizienz

Die Neugründung solcher Erfolgsmodelle wird von ideologischer Seite systematisch bekämpft. Auf der Wesermündung bei Bremen gibt es eine Autofähre, die von den beteiligten Kommunen gemeinsam betrieben wird. Sie dient der regionalen wirtschaftlichen Entwicklung der anliegenden Länder und Kommunen. Sie wird jährlich bezuschusst. Es gibt diese Fähre nur, weil es sie schon lange gibt. An der Elbmündung würde eine solche Fähre zwischen Brunsbüttel und Cuxhaven ebenfalls der wirtschalichen Entwicklung dienen. Hier gilt aber der Vorrang der Privatwirtschaft. Es ist unmöglich diese Fähre nach reinen Gewinnkriterien zu betreiben, Gewinne und Subventionen sollen nach ordoliberalen Verständnis nur an Private fließen. Früher nannte man das Korruption. Heute dient es die Freiheit. Diesem Prinzip folgt auch die

Public Private Partnership

Partnerschaft zwischen dem öffentlichen und dem privaten Wirtschaftssektor PPP ist nach dem ideologischen Verständnis nur in einer Form erlaubt: Der Staat beauftragt einen privaten Investor. Anders gesagt: der Staat zahlt, der Investor kassiert. Bevor dieses Prinzip bewusst eingeführt wurde, galt es als ineffizient. Denn nach der Umwandlung einer Staatsaufgabe in eine PPP müssen zusätzlich zu den Kosten auch noch Renditen erwirtschaftet werden. Nur Ideologen behaupteten das Gegenteil. Ihre Legende vom effizienten Privaten und ineffizienten Staatlichen ist inzwischen in vielen Fällen widerlegt. Einige Kommunen müssen ihr verkauftes Eigentum sogar wieder zurückkaufen, dennoch wird die Legende weiter gepflegt. Das liberale Dogma wird zur Lebenslüge.

Die Legende beruht auf der wissenschaftlich unzulässigen Verwechslung von dezentraler Marktkoordination mit privatem Kapitaleigentum. Der öffentliche Teil delegiert seine Aufgabe an einen privaten Monopolisten. Eine Marktkonkurrenz wird in solchen Fällen noch nicht einmal simuliert, wie es bei öffentlichen Ausschreibungen der Fall ist. Statt dessen biedert sich der Staat einem Monopolisten an. Die pure Buddy-Economy.

Spätestens seit der chinesischen Wirtschaftsexpansion sollten alle wissen, dass es eine global erfolgreiche Marktwirtschaft auch unter dem Regime eines beinharten Staatseigentums an Grund und Boden gibt. Alle Börsenkonzerne unterwerfen sich bereitwillig dem chinesischen Eigentumsdiktat. Denn der Staat diktiert den Konzernen, wie sie mit dem Land unter ihren Maschinen umgehen dürfen.

Um das Fass der Eigentumsvielfalt voll zu machen, gibt es auch das neutrale Eigentum, das nicht genossenschaftlich organisierst ist.

Neutrales Eigentum

Neutrales Eigentum wurde in die Theorie der Wirtschaftswissenschaften von Ota Šik eingeführt. Šik war Wirtschaftsminister der CSSR 1968. Nach dem Einmarsch der Sowjetarmee in Prag arbeitete er als Wirtschaftsprofessor in St. Gallen. Als Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus entwickelte er die Idee einer humanen Wirtschaftsdemokratie. Beim neutralen Kapital gehört das Eigenkapital einer Firma der Firma und dient ausschließlich dem Betriebszweck. Die Angehörigen des Betriebs bestimmen, wer die Firma leitet, niemand darf das Kapital aus dem Betrieb rausziehen. Wer das Schritt für Schritt durchdenken möchte, stelle sich eine Aktiengesellschaft vor, die nach und nach alle Aktien der eigenen Gesellschaft aufkauft. Dann gehört die Gesellschaft sich selbst.

In unserer Rechtsordnung entspricht dieses Modell am ehesten dem Stiftungseigentum. Das Vermögen einer öffentlichen Stiftung gehört keiner Person, sondern es gehört der Stiftung, darf nicht ausbezahlt werden und dient ausschließlich dem Zweck der Stiftung. Selten führt eine Stiftung selbst ein Unternehmen. Das ist denkbar, aber völlig unüblich. Üblich ist es, dass einer Stiftung das Kapital einer Firma gehört. Das ähnelt dem Staatseigentum, denn auch beim Staat darf sich niemand das Vermögen selbst unter den Nagel reißen. In vielen Fällen ist es für die Menschen, die in einem solchen Stiftungskonzern arbeiten, einen alltäglichen Unterschied zu Konzernen, die sich ausschließlich an Renditen orientieren.

Umgang mit Rücklagen

Für die Systematik ist auch bedeutend, wie Betriebe mit Rücklagen umgeghen. Rücklagen sind Gewinne, die nicht ausbezahlt werden. Sie werden dann zum Eigenkaiptal hinzugerechnet. Rein privatwirtschaftliche Gesellschaften können Rücklage auflösen und auszahlen. Das ist bei neutralem Kapital, also bei Stiftungen, nicht möglich. Wenn sie in der Firma bleiben, dienen sie dem Unternehmen und seinen Zielen. Werden sie aufgelöst, dienen sie dem Stiftungszweck. Analog dazu würden sie bei Staatseigentum dem Staatszweck dienen also Teil der öffentlichen Debatte.

Fazit

Es gibt folgende Formen produktiven Kapitaleigentums:

  • Das Eigenkapital gehört einem oder mehreren Menschen (Privat)
  • Das Eigenkapital wird gestückelt an einer Börse gehandelt (Anonym)
  • Das Eigenkapital wird unmittelbar vom Staat verwaltet (Eigenbetrieb)
  • Das Eigenkapital eines handelsrechtlichen Unternehmens gehört dem Staat (Eigengesellschaft)
  • Das Eigenkapital gehört allen Menschen, die vom Unternehmenszweck profitieren (Genossenschaft)
  • Das Eigenkapital gehört einem monopolistischen Lizenznehmer des Staates (Public Private Partnership)
  • Das Eigenkapital gehört dem Staat und privaten gemeinschaftlich (Tja …)
  • Das Eigenkapital dient ausschließlich dem Zweck (neutral, Stiftung)

Es gibt folgende Formen der Verfügungsgewalt über das Eigentum

  • Staatliche Regie
  • Private Regie
  • Anonyme Regie
  • Neutrale Regie

UND: Aus der Eigentumsform lässt sich nicht ableiten, wie Ressourcen und Produktion in der Gesellschaft verteilt werden. Aussagen über die Effizienz des Systems auf Grundlage der Eigentumsform sind unzulässig. Zumindest global ist eine Konkurrenz von Staatsgesellschaften denkbar.

Vorige Kapital:

Einführung
Genossenschaften
Wirtschaftssystem

Wirtschaftsordnung III Koordination

Wirtschaftsordnung III Koordination

Koordinationsmechanismen

Der Markt

Es reicht nicht aus, Güter und Leistungen herzustellen. Alle Güter müssen auch an diejenien gelangen, die sie benötigen. Wir sind gewohnt zu sagen, das regelt alles der Markt. „Der Markt“, das ist ein deutsches Fremdwort, wie zum Beispiel auch das Wort „Volkswirtschaft“. Viele benutzen es, ohne sich bewusst zu sein, was damit gemeint ist.
Die Micky Mouse Version, den Markt zu beschreiben, lautet: Stell Dir vor die Welt sei ein riesiger Wochenmarkt. Das ist aber Quatsch. Der abstrakte Markt ist eine abstrakte Vorstellung. Dieses abstrakte Konstrukt regele alles „wie eine unsichtbare Hand“, beschrieb (Adam Smith). Das klingt nach Religion. Wir müssen höllisch aufpassen, um nicht Dummheiten nachzubeten. Auch wenn sie weit verbreitet sind, sind sie einfach nur Unsinn.

Der Markt ist ein theoretisches Modell. Dieses Modell ist mit vielen theoretischen Idealvorstellungen bestückt. Brauchen wir so etwas?

Was Modelle können

Ohne Modelle oder ohne Idealvorstellungen könnten wir keine Theorie betreiben. Sie sind nützlich. Das Modell zu vergöttern ist dumm. Modelle bilden die Wirklichkeit nur unvollkommen ab. Wir können nicht einfach sagen: in der Wirklichkeit passiert, was wir aus dem Modell ablesen können. Wir müssen immer haargenau prüfen, ob das stimmt. Wenn etwas nicht stimmt, dann gibt es zwei Wege. Entweder wir können das Modell anpassen oder wir müssen ein anderes Modell suchen.

Das Modell Markt koordiniert in der Vorstellung der theoretischen Volkswirtschaft alle Pläne der Menschen, die produzieren und anbieten oder kaufen. Läuft alles perfekt nach den Idealvorstellungen, bleibt am Ende nichts übrig. Das nennen wir vollständige Markträumung, dann wird überall für dieselbe Menge und Qualität desselben Produkts derselbe Preis bezahlt. Was in der Theorie genial klingt, funktioniert im Alltag nicht wirklich. Die angepassten Modelle der verschiedenen Märkte sehen wir uns später noch einmal genauer an.

Der Plan

„Ja mach‘ nur einen Plan,
Sei nur ein großes Licht
Und mach dann noch ’nen zweiten Plan,
Gehn tun sie beide nicht“,

dichtete Bert Brecht in seinem Song von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens. Dennoch haben ihn die kommunistischen Praktiker der Sowjetrevolution zur Mantra erhoben. Auch die DDR beschwor ihren demokratischen Zentralismus in allen fünfzehn Bezirken des Landes.

„Zentralismus“ trifft den Kern des Realsozialismus schon genauer. Im Realsozialismus der sowjetischen Schule wurde zentral geplant und über ein zentral gesteuertes Handelssystem verteilt. Auch in der sogenannten Marktwirtschaft wird geplant, was die Denkbeulen hergeben. Nur eben dezentral in verschiedenen Unternehmen. Der abstrakte Markt ist ein Prinzip der Verteilung von Gütern auf die Nachfrage. Der Markt reguliert die einzelnen Pläne, in dem das Produzierte an die Nachfragenden verteilt wird. Alle Pläne werden von vielen Menschen, Unternehmen oder Marktteilnehmer*n gemacht. Die Kernfrage lautet also: Wie werden die Pläne ´gemacht, die Ressourcen verteilt, die Produkte bereit gestellt und verteilt:

zentral oder dezentral?

Der Markt ist ein dezentraler Verteilungsmechanismus für dezentral erstellte Güter und Dienste, bei zentraler Wirtschaftsplanung werden auch die Güter nach einem zentralen Plan verteilt.

Keine konkrete Wirtschaftsordnung kennt nur das eine oder nur das andere Prinzip. Und auch hier gibt es wieder ein dreifach hoch gepriesenes Dazwischen.

Auch im Reich des Marktes gibt es zentralistische Entscheidungswege, zum Beispiel bei Monopol-Unternehmen, staatlichen oder privaten. Oder große Unternehmen bilden Kartelle und koordinieren ihre Pläne auf nationaler Ebene oder sogar global. Die bürgerliche ökonomische Lehre der Marktformen ist genauso alt wie Lenin oder Hayek. Sie kennt sehr viele Formen zentralen oder dezentralen Entscheidens.

Im realsozialistischen Wirtschaftsraum des vorigen Jahrhunderts gab es immer wieder Reformen. Sie wurden neue ökonomische Systeme der Planung und Leitung genannt. Dann wurden mehr Entscheidungen den regionalen oder sektoralen Ebenen der Hierarchie überlassen. Betriebe sollten zum Beispiel ihre Investitionen selbst erwirtschaften. Oder privates Engagement ergänzte die staatliche Versorgung, Kleingärtner:innen lieferten Obst und Gemüse bei Ankaufstellen ab. Auf solche Phasen zugunsten dezentraler Entscheidungen, folgten immer wieder Phasen der Zentralisierung.

Ironie der Ideologie

In diesen Schwankungen in der Ideologie schwingt eine gewisse Ironie mit. Die industrielle Entwicklung verlangt von der privaten Konzernwirtschaft eine immer stärkere Zentralisierung. Zuerst fraßen konkurrierende nationale Konzerne einander auf, heute frisst Bayer Monsanto, also eine globale Spielerin die andere. Diese Zentralisierung der Entscheidungen ist eine logische Folge industrieller Produktion. Je komplexer die Technik, desto teurer die Investitionen für einen Zweck. Je teurer die Produktionsmittel, desto mehr Produkte müssen verkauft werden. Sonst lohnt es sich nicht. Eine Spirale ohne Ende.

Um das zu wuppen, müssen die Konzerne größer werden. Der Realsozialismus hat versucht, dies vorwegzunehmen. Der Sozialismus wollte den Kapitalismus überholen ohne ihn einzuholen. So SED-Chef Walter Ulbricht im Jahr 1957. Hat geklappt, der sozialistische Totalschaden der Industriegesellschaft trat als erster ein. Der kapitalistische Totalschaden kommt noch. Aber auch der realsozialistische Plan des Wirtschaftens hat uns vor den Grenzen des Wachstums nicht bewahren können.

Egal ob Plan oder Markt, das ist nicht die Frage. Die Industrie hat ihre Grenzen. Es stellen sich andere Fragen als „Plan oder Markt?“ Die Frage stellt sich nach kollektiven Entscheidungen in der Gesellschaft. Wie klappt das am besten? Zentraler oder dezentral?

Gänzlich dezentral ist nach der Lehre von den Marktformen die „vollständige Konkurrenz“, der Anarchie des Marktes in marxistischer Lesart. Sie ist für Ökonomen der Inbegriff der Effizienz, also der effektivsten Verwendung von Ressourcen. In den Augen vieler Ideolog*en entsprechen Börsen solchen idealen Märkten. Aber es gibt in der reinen Lehre auch Monopole, Oligopole und allerlei andere „schiefe“ Märkte. Wenn wir genau hinschauen, sind fast alle Märkte auch reguliert. Ausnahme: lizenzierte Flohmärkte und illegale Schwarzmärkte.
Genug der Ironie!

Die Kernfragen der Wirtschaftsordnung

Egal wie böse unser Augenzwinkern nun ist, die Kernfragen der Wirtschaftsordnung lauten:

1 Wie organisieren wir das Eigentum?
2 Wird zentral oder dezentral entschieden?
3 Wie mischen wir die extremen Pole des Denkbaren ?

Die pragmatische Matrix, wie wir die Wirtschaft einordnen wollen, sähe also so aus:

Auf der Seite des Eigentums gibt es neben dem privaten und dem öffentlichen ein Dazwischen. Nennen wir es die vernünftige Lösung, die fallweise am effektivsten wirken kann. Und bei der Koordination der Pläne muss es wohl auch zwischen den Extremen individueller Kampf und staatlicher Verteilung der Ressourcen auch eine vernünftige Lösung geben. In der zentral verwalteten Wirtschaft wurden die Waren zu einem zentral festgesetzten Festpreis angeboten. Bei vielen Dingen gab es Wartezeiten, bis das Produkt zugeteilt wurde. So entstand ein Spielraum für einen Schwarzmarkt.

Sowohl die Eigentumsform als auch die Koordination der Ressourcenverteilung haben Einfluss auf die Verteilung der Ressourcen im System. Sind im System für unterschiedliche Ziele einzelne Formen besser geeignet als die ideologischen Idealtypen? Wie sieht es aus, gibt es sowohl für das Eigentum also auch für die Koordination vernünftige Formen? Wenden wir uns im nächsten Schritt der Frage zu: Was ist privat und was bedeutet staatlich?

Auf der Seite des Eigentums gibt es neben dem privaten und dem öffentlichen ein Dazwischen. Nennen wir es die vernünftige Lösung. Und bei der Koordination der Pläne muss es wohl auch zwischen den Extremen individueller Kampf und staatlicher Verteilung der Ressourcen auch eine vernünftige Lösung geben.

Was sollten wir denn nun als vernünftig bezeichnen? Sowohl die Eigentumsform als auch die Koordination der Ressourcenverteilung haben Einfluss auf die Verteilung der Ressourcen im System. Sind im System für unterschiedliche Ziele einzelne Formen besser geeignet als die ideologischen Idealtypen? Wie sieht es aus, gibt es sowohl für das Eigentum also auch für die Koordination vernünftige Formen? Wenden wir uns im nächsten Schritt der Frage zu: Was ist privat und was bedeutet staatlich?

Wirtschaftsordnung II – Genos

Genossenschaften werden ausgeblendet

Für das Eigentum an Ressourcen und Produktionsmitteln gibt es nicht nur Privat- oder Staatseigentum. Es gibt auch ein „Dazwischen“. Wenn wir die Wirtschaftsordnung betrachten, wird heute beim Privateigentum eine Form bevorzugt: die Aktien, also anonyme Anteile, die an Börsen handelbar ist. In den letzten Jahrzehnten konnte globale Börsencrashs aufgefangen werden. Aber was passiert, wenn die Spekulation mal wieder alles aus dem Lot fallen lässt?

Teilhabe ist oberster Grundsatz

Besonders in Krisenzeiten hat sich das genossenschaftliche Eigentum bewährt. Der deutsche Blick ist dabei sehr auf die juristische Verfassung der Geno beschränkt. Ohne Scheuklappen geht’s in Deutschland halt nicht. Denken wir global. Danach ist eine Genossenschaft ein Unternehmen, das nach den folgenden Prinzipien handelt:
1 Die Mitgliedschaft ist freiwillig und steht jeder Person zu.
2 Entscheidungen werden demokratisch gefällt.
3 Mitglieder haben wirtschaftlich an der Genossenschaft teil.
4 Mitglieder und Beschäftigte werden fortgebildet, damit sie an den Entscheidungen teilhaben können.
5 Genossenschaften arbeiten mit anderen Genos zusammen.
6 Genossenschaften kümmern sich um die Gesellschaft, in der sie bestehen.

Das bedeutet im Klartext: es kommt bei Genos nicht auf die Rechtsform an, sondern auf die Verfassung des Unternehmens. Hierbei ist Teilhabe oberster Grundsatz. Der internationale Genossenschaftsverband ICA umfasst auch kommunale Eigenbetriebe wie zum Beispiel Sparkassen und Versicherungen auf Gegenseitigkeit, die so genannten mutuals.

Allerdings galten die Genossenschaften auch im leninistischen Realsozialismus als minderwertig, nur eine „Vorstufe“ zum sozialistischen Eigentum. Bauer*n und Handwerker*s wurden in Genossenschaften zusammengefasst, selten war die Mitgliedschaft freiwillig. Das ist dem Genossenschaftbund aber wichtig: Alle dürfen, niemand wird gezwungen.

Genos als Störfaktor im System

In Deutschland wird das Genossenschaftswesen systematisch unterschätzt. Es wird von der Spekulationswirtschaft systematsich bekämpft. So wollten das Spekulationsbankensystem die Kreditgenossenschaften EU-weit vom Kreditgeschäft aussperren, weil deren Kapital nicht an Börsen handelbar sei.

Ein Schmankerl aus der Geschichte: MCC – Mondragón Corporación Cooperativa

[Ich verlinke hier die englsichsprachige Wikipedia, … ] Ein solches Katz und Maus Spiel hat die Mondragón Corporación Cooperativa (MCC) hinter sich. In den 50ern gründeten Einwohner:innen der baskischen Kleinstadt Kooperativen, um sich gegen Arbeitslosigkeit und Armut zu wehren. Der Priester José María Arizmendiarrieta sorgte dafür, dass ein paar kluge Leute die Menschen zur Selbsthilfe anleiteten. Sie finanzierten eine kleine Kreditgenossenschaft. Es entwickelte sich einer der größten Industriekonzerne Spaniens mit eigenem Finanz-, Sozial- und Bildungswesen. Einige Neugründungen waren eine Reaktion auf Gängeleien und Ausgrenzungen durch das faschistische Franco-Regime. Als die Mitglieder aus dem staatlichen Versicherungssystem ausgegrenzt wurden, war eine genossenschaftliche Versicherung nötig.
Als Produktivgenossenschaft wird der Konzern oft vom Ausland als Consulter angefragt. So wurde die MCC auch auf anderen Kontinenten wirtschaftlich tätig. Das ist global gesehen ein eher seltener Fall.

Die Stärke der Genossenschaften

Regionale Kompetenz

Traditionell wird als besondere Stärke der Genos ihr enger Bezug zur Region angesehen, in der sie tätig ist. Besonders bei Wohnungsgenossenschaften wird das deutlich. Sie sind dort tätig, wo sie sich gut auskennen. Sie kennen den lokalen Markt, sie kennen die Marktteilnehmer:innen persönlich. Denn es liegt nahe: Wirtschaftliche Teilhabe bedeutet beim Wohnen örtliche Teilhabe. Diese Eigenschaft gibt es aber auch beim Handel.

Konsument* oder Händler* haben sich in Europa vor 120 Jahren ebenso zusammengeschlossen, um gemeinschaftlich besser einzukaufen. ‚Besser‘ bezieht sich dabei nicht allein auf den Preis, sondern auch auf die Qualität der Waren. Nach vier Generationen sind heute viele genossenschaftliche Unternehmen die Marktführerinnen: Edeka und Rewe in Deutschland, coop und Migros in der Schweiz, Rewe und Spar in Österreich, coop in Dänemark, coop in Schweden, coop im Vereinigten Königreich (Platz 4). Eroski in Spanien (Platz 4) übrigens die Handelstochter des MCC.

Dort wo Genos stark sind haben ausländische Handelskonzerne es schwer, in den Markt einzutreten. Aus Deutschland haben sich zum Beispiel Walmart (USA) oder intermarché (Frankreich) kurz nach ihren Gastspielen in Deutschland wieder zurückgezogen. Gegen Genos können auch inländische Konkurrentinnen nur dann erfolgreich sein, wenn sie mit Qualität werben. Diesen Weg gingen in Deutschland als erste die Aldibrüder. Ebenso wie die Schwarzgruppe ist auch Aldi auf Europa-Ebene im Ranking erfolgreicher als in Deutschland.

Soziale Kompetenz

Die soziale Kompetenz wird heutzutage besonders bei den landwirtschaftlichen Genossenschaften von Kleinbäuer* bedeutsam. Kleinbäuer:innen wurden in vielen Regionen der Welt von der Saat-Industrie mit haltlosen Versprechen betrogen. Als die gentechnische BT-Baumwolle versagte, sprangen die indischen Genossenschaften mit Hilfsprogrammen ein. Heute gibt es bei uns Biobaumwolle zu Discountpreisen. Dahinter steckt eine genossenschaftliche Strategie den Erzeugerländern.
In Malaysia übernehmen städtische Unternehmen Patentschaften zu Dorfgenossenschaften und leisten Hilfe zur Selbsthilfe.
In Italien gibt es ein eigenes Gesetz zur Förderung der Sozialgenossenschaften. Vielfältige Anregungen gibt’s beim Internationalen Genossenschaftsbund ICA: ica.coop.

Kontinuität

Die Manager in genossenschaftlichen Konzernzentralen haben es nicht leicht. Ihre Eigentümer* wissen selbst, was sie wollen. Das Kapital der Genossenschaft ist nicht anonym, wie bei Aktiengesellschaften. Oft sind es Händler*, die starken Genossenschaften angehören. Diese Genossenschaften betreiben dann gemeinsam eine Konzernzentrale. Sie haben ein starkes Selbstbewusstsein und sind in ihrer Heimatregion fest verankert. Bei Wohnungsgenossenschaften sind die Mieter* die Eingentümerinnen, also die eigene Kundschaft. In beiden Fällen stehen beide Seiten in einer wechselseitigen Verantwortung. Was Kritikerinnen daran konservativ oder gestrig erscheint, ist für die Mitglieder das eigene Interesse. Es lässt sie sozial betrachtet nachhaltig handeln.

Ideologischer Verzicht

Diese Eigenschaften der Genossenschaften sind Ziele, die in der heutigen Debatte über das Wirtschaften häufig gefordert werden: Förderung regionaler Strukturen, soziale Kompetenz, Nachhaltigkeit und Kontinuität. Statt in der Wirtschaftsordnung entsprechende Signale zu setzen, repariert der Staat aber immer wieder die Schäden des spekulativen Börsensystems.

Genossenschaften zu fördern, würde auch anderen gesellschaftlichen Zielen dienen. Der ideologisch bedingte Verzicht darauf schadet der Gesellschaft.

Wie sieht es beim Koordinationsmechanismus unseres Wirtsachaftssystems aus, beim Markt? Das ist Thema der dritten Folge dieser Reihe zur Wirtschaftsordnung.

nächste Folge: Wer koordiniert die Pläne

Die Wirtschaftsordnung könnte mehr

Eine Übersicht

Ich sag mal so: bei Depression in der Psychologie gibt es rund 500 Varianten.
Alle werden im populären Sachbuch abgehandelt.

Wenn es um die Wirtschaftsordnung geht, kennen alle nur zwei Formen der Depression: Revolutionär Lenin oder Professor Hayek. Beide sind schon lange tot. Und die Welt hat sich weiter gedreht. Doch in der Politik lassen wir uns mit zwei Richtungen aus dem 19. Jahrhundert abspeisen: Verstaatlichung oder Privatisierung. Mehr geht nicht.

Das ist borniert. Die Wirtschaftsordnung könnte sehr viel mehr leisten.

Scheuklappen

Es ist sogar noch schlimmer. Borniert ordnen wir dem Markt das Private zu und dem Staat einen Plan. Und das ist blanker Unsinn. Selbst wenn der Staat alle Produktionsmittel besitzt, kann er es den Betrieben überlassen, was sie herstellen und verkaufen wollen. Dann haben wir eine sozialistische Marktwirtschaft. Und wenn der Kapitalistenstaat einen Krieg erklärt, dann nimmt er Kriegsanleihen auf und steckt alle Ressourcen in das Militär. Das nennen wir eine kapitalistische Planwirtschaft.

Bereits das kommunistische Manifest hat 1848 genauer unterschieden, als es heute üblich ist. Nicht das ganze Kapital solle dem Staat gehören, nur Grund und Boden, Transportwesen und die Lenkung des Kreditwesens. Eine Ironie am Rande: eine kommunistische Forderung hat der sozialdemokratische Staat mit Agenda 2010 eingeführt: Arbeitszwang in einer industriellen Armee. Der gesamten utopischen Komposition aus dem Jahre 1848 entspricht heute am ehesten ein Weltmarktführer, die Volksrepublik China.

Totem Planwirtschaft

Lenin war ein pragmatischer Kommunist. Er fand im Russland des Jahres 1917 eine feudalwirtschaftliche Kriegswirtschaft vor. Also eine Planwirtschaft. Lenin ließ einfach die Wirtschaftsplaner auf die Gesamtwirtschaft los. Die sozialistsiche Planwirtschaft war geboren. Weil es im Frieden nie so richtig funktionierte, gab es immer wieder Reformen. Aber die sozialistische Planwirtschaft wurde zum realsozialistischen Heiligtum erklärt. Das lag daran, dass es der Sowjetunion gelang, einen rückständigen Feudalstaat in ein elektrifiziertes Industrieland zu verwandeln. Weil Stahlindustrie heute nicht mehr alles ist, entwickelte sich daraus eine despotische Oligarchie in Russland.

Anders die Liberalen, die Friedrich August von Hayek folgen. Sie kamen vom Markt und führten zu oligarchischen Despoten wie Mussolini, Salazar oder Franco. Ursprünglich analysierten liberale Denker das mystische Wirken der Märkte. Sie entlockten der „unsichtbaren Hand“ allerlei Geheimnisse, wie die vielen Menschen mit Schachern und Tauschen all ihre materiellen Wünsche am günstigsten erfüllen können. Das Walrasianische Gleichgewicht. Dieses Optimum aller Märkte lässt sich nur erreichen, wenn anfangs alle Menschen dieselben Voraussetzungen haben. Voraussetzung war also die vollkommene soziale Gleichheit. Diese theoretische Voraussetzung war in der Wirklichkeit nie erfüllt. Aber man hatte wenigstens schon mal ein Modell, wie es geht.

Totem Freiheit der Oligarchen

Daran haben dann Liberale wie Friedrich August von Hayek und Vilfredo Pareto soziologisch geraspelt und gefeilt. Nachdem Pareto die rechtslastige Verteilung der Vermögen entdeckte, wandte er sich der Soziologie zu. So fand er allerlei rechtfertigende Theorien dafür, dass die Oberschichten mit all ihrer Macht und Gewalt dafür sorgen dürfen, ihre Privilegien zu behalten. Hayek erhob den Wert der Freiheit weit über den Wert der Demokratie. Die anderen Werte wie Gleichheit und Brüderlichkeit sind für ihn Nebensache. Wir kennen das heute als den kecken, jugendlichen Slogan der 90er: „Deine Armut kotzt mich an.“

Jetzt ist es diesen Denkmodellen allerdings egal, wie ein Mensch in die Oberschicht gelangt. Zum Beispiel in der Westentasche eines Autobosses, der Politiker in der tasche hat. Korruption und Betrug sind wichtige Elemente der Oligarchie, im Westen wie im Osten. Es steht halt jedem frei, diese Oligarchie um Einlass in die Oberschicht zu bitten.

Aus alledem und alledem liegt doch jetzt schon mal auf der Hand: Mit ein wenig weniger Borniertheit ließe sich wirtschaftlich vieles verändern. Dazu müssten allerdings Wirtschaftsprofessor:innen ihren Horizont erweitern. Wie dichtete einst der große Revolutionsapostel Wolf Biermann?

… Was haben wir denn an denen verlorn:
An diesen deutschen Professorn
Die wirklich manches besser wüßten
Wenn sie nicht täglich fressen müßte
n. … [Quelle]

Die ideologische Brille

Der veengte Blick lässt sich in einer Grafik darstellen:

Aus Eigentum (privat oder öffentlich) und Koordination (Markt oder Plan) ergeben sich vier Systeme, darumter die kapitalistische Marktwirtschaft und die sozialistische Planwirtschaft.

Der ideologisch verengte Blick reduziert sich auf Markt oder Plan einerseits sowie Privateigentum oder Staatseigentum andererseits. Daraus ergeben sich vier Systemvarianten:
1 Kapitalistische Marktwirtschaft
2 Feudale Planwirtschaft
3 Sozialistsiche Marktwirtschaft
4 Sozialistische Planwirtschaft

Die konkrete Ausgestaltung in der Wirklichkeit wird dann Wirtschaftsordnung genannt. Dabei sollten wir eigentlich erwarten, dass die Ideologie zurückstecken muss, wenn es die Wirklichkeit verlangt. Am Beispiel der überaus erfolgreichen genossenschaftlichen Unternehmensformen können wir erkennen, dass ideologisch Unerwünschtes völlig ausgeblendet wird. Und das geschieht, obwohl die sozial und regional nachhaltigen Wirkungen des Genossenschaftswesens dem Zielkatalog des modernen Denkens entsprechen. Das besprechen wir im nächsten Abschnitt.

Weitere Artikel zum Thema Wirtschaftsordnung

Wirtschaftsordnung II -> Eigentumsformen -> Genossenschaften
Wirtschaftsordnung III -> Koordination der Pläne
Wirtschaftsordnung IV –> Eigentumsformen
Wirtschaftsordnung V –> Märkte